Energieeffizienter Unicampus
TU Darmstadt vernetzt Strom, Wärme und Kälte
Die Technische Universität Darmstadt will auf ihrem Campus Lichtwiese ein Beispiel für die Energiewende auf Quartiersebene realisieren. Dazu werden Expertinnen und Experten die Gebäudemodernisierung und künftige Energieversorgung intelligent miteinander vernetzen. Der Campus wird zum integrierten Forschungsobjekt für ein interdisziplinäres Wissenschaftsteam. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen können am praktischen Beispiel neueste Entwicklungen erproben und Anregungen für weitere Forschungsaktivitäten sammeln.
Energieversorgung, Lastmanagement und dezentrale Speicherung sind wesentliche Themen bei der Umsetzung der Energiewende im Quartier. Die TU Darmstadt möchte in den kommenden Jahren die Energieeffizienz auf ihren Campusarealen deutlich erhöhen. Dies reicht von der Gebäudemodernisierung über die thermische und elektrische Energieversorgung bis hin zur informationstechnischen Verknüpfung aller Teilsysteme. Ein interdisziplinäres Forscherteam aus Architekten, Elektroingenieuren, Maschinenbauern und Informatikern demonstriert, wie ein Gesamtkonzept für einen energieeffizienten Campus simultan und integrativ entwickelt werden kann.
Eigene Energie verstärkt nutzen
Ziel des Projektes ist es, ein Gesamtkonzept für einen energieeffizienten Campus zu entwickeln. Dazu optimieren die Forschenden alle Energiebereiche sowie deren gegenseitige Wechselwirkungen. Zum einen sollen der gesamte Energieverbrauch sowie die CO2-Emissionen verringert werden. Zum anderen möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erreichen, dass sich der Eigenanteil an der Energiebereitstellung erhöht. Dies soll durch eine intelligente Einsatzplanung und die Vernetzung vorhandener Erzeugungs- und Speicherkapazitäten (Kopplung elektrisches Netz – thermische Netze – Gebäude) erreicht werden.
Der Campus Lichtwiese ist als Studienobjekt für die Untersuchung eines Quartiers gut geeignet, da er zahlreiche quartierstypische Besonderheiten aufweist. Die über 40 Gebäude (108.000 m² Nutzfläche) sind räumlich eindeutig voneinander abgegrenzt. Das Campusgelände ist von seinem baulichen Umfeld durch Freiräume getrennt. Es befindet sich sowohl eigentums- als auch planungsrechtlich in einer Hand. Damit kann der Campus Lichtwiese als weitgehend unabhängige Einheit betrachtet werden. Vorhandene Vernetzungen mit anderen Standorten sowie mit übergeordneten Energienetzen lassen sich eigenständig kontrollieren. Dies erleichtert auch die bilanzielle Betrachtung dieser Einheit. Die eigentums- und planungsrechtliche Entität ist eine wesentliche Voraussetzung für einen raschen Umstieg in der Energieversorgung. Als autonome Modelluniversität kann die TU Darmstadt alle wesentlichen baulichen Entscheidungen unabhängig treffen. Die Nutzungsmischung auf dem Campus umfasst nicht nur campustypische Funktionen wie Büros, Labore, Hörsäle und Bibliotheken, sondern auch produktionstechnische Versuchsanlagen (ETA-Fabrik, PHI-Factory).
Der Campus Lichtwiese verfügt mit einem Heizkraftwerk über eine eigene Energiezentrale, die den Campus mit Wärme und Strom versorgt und bis zum Jahr 2030 von einem Contractor (Energieversorger) betrieben wird.
Zu Beginn des Projektes bestand das Heizkraftwerk aus drei BHKW mit jeweils 1,95 MW elektrischer und 2,0 MW thermischer Leistung sowie aus sechs Erdgasheizkesseln zur zusätzlichen Wärmeerzeugung, die über eine thermische Gesamtleistung von 55,8 MW verfügen. Im Jahr 2018 wurde die Energiezentrale durch den Austausch von zwei älteren BHWK mit jeweils 2 MW elektrische Leistung modernisiert und um ein BHKW mit 3,25 MW elektrische Leistung erweitert.
Die Wärmeversorgung der Universität erfolgt durch ein eigenes Fernwärmenetz, das BHKW-basiert auf eine Vorlauftemperatur bis 110 °C ausgelegt ist. Im Rahmen des Contracting-Vertrages wurde der Campus im Jahr 2018 an das Fernwärmenetz des städtischen Energieversorgers angebunden. Darüber werden jährlich ca. 30.000 MWh an Wärme aus dem städtischen Müllheizkraftwerk in das TU-Netz eingespeist und substituieren dort Anteile der im Kraftwerk Lichtwiese erzeugten Kesselwärme. Weiterhin wurden eine Absorptionskältemaschine (1 MW) sowie zwei Kältespeichern und ein drei Kilometer langes Kältenetz in Betrieb genommen.
Säulen des neuen Energiekonzepts
Das im Projekt erarbeitete Energiekonzept basiert auf folgenden vier Säulen:
- Erhöhung der Energieeffizienz durch intelligente Vernetzung der Energieversorgungssysteme für Strom, Wärme und Kälte (aufeinander abgestimmte Bau- und Betriebsführungsstrategien zwischen Energieversorgung und Gebäuden)
- Entwicklung von langfristigen Effizienzkonzepten durch vorausschauende Planung (Einbeziehung baulicher und gesellschaftlicher Veränderungen) und einer campusweiten Monitoring-Strategie zur Erzeugungs- und Verbrauchserfassung sowie zur Effizienzbewertung
- Ausbau des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung durch die Integration thermischer Speicher, die Nutzung der Speicherpotenziale von Fernwärmenetz und Gebäuden sowie die Nutzung thermischer Energie zur Kälteerzeugung durch Absorptionskältemaschinen
- Ausarbeitung eines Konzepts zur Erfassung, Verbreitung und Verarbeitung von Daten für das Monitoring und die Einflussnahme auf existierende Energieinfrastrukturen.
Elektrisches und thermisches Netz beeinflussen sich gegenseitig
Die Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung und Modernisierung der Universitätsgebäude liefern die notwendigen Kennzahlen, um zukünftige Verbrauchsveränderungen abschätzen zu können. Diese Werte bilden die Grundlage für die Modellierung eines effizienten elektrischen und thermischen Netzes.
Da sich das elektrische und das thermische Netz über einzelne Bestandteile wie BHKW, Speicher oder Absorptionskältemaschine gegenseitig beeinflussen, muss die Konzeptentwicklung bei der thermischen Versorgung in enger Abstimmung mit den elektrischen Netzen geschehen. Umgekehrt müssen die Forscher für die Optimierung der elektrischen Netze Informationen zu den thermischen Netzen und den dahinterstehenden Versorgungskonzepten miteinbeziehen. Hierzu zählen unter anderem Bemessungsleistungen, Zeitkonstanten, Speicherkapazitäten und saisonale Abhängigkeiten.
Eines der Arbeitspakete widmete sich der Wirtschaftlichkeit. Relevante Punkte sind hier vor allem die Energieeffizienz, die Steigerung des Anteils regenerativer Energieversorgung und die Optimierung der Betriebsweise der BHKW.
Gesamtsystem wichtiger als einzelne Gebäude
Das Projekt EnEff:Stadt Campus Lichtwiese hat gezeigt, dass sich die ambitionierten Energie- und Klimaschutzziele der TU Darmstadt nur dann erreichen lassen, wenn entsprechende Maßnahmen frühzeitig und koordiniert realisiert werden. Der Fokus liegt dabei auf der gemeinsamen Betrachtung aller relevanten Bereiche innerhalb des Energiesystems Lichtwiese. Nur wenn die verschiedenen Teilbereiche in ihrem Zusammenspiel betrachtet und optimiert werden, kann das volle Potential an Effizienzsteigerungen ausgeschöpft werden. Es ist nicht das primäre Ziel, den Energiebedarf einzelner Gebäude zu minimieren. Viel eher geht es darum, solchen Maßnahmen Priorität einzuräumen, die den größten Vorteil im Hinblick auf das Gesamtsystem versprechen.
Die Forscher haben Möglichkeiten identifiziert und bewertet, mit denen die Energieeffizienz erhöht und der Energiebedarf gesenkt werden kann. Sie bewerteten die Maßnahmen in Bezug auf ihre realen baulichen und energietechnischen Entwicklungen. Auf Grundlage von verschiedenen Szenarien stellten die Expertinnen und Experten heraus, welche zukünftigen Herausforderungen sich für die Ausgestaltung der elektrischen und thermischen Netze am Campus Lichtwiese ergeben werden und welche Auswirkungen diese auf den Netzbetrieb haben können.
Praxistransfer
Die Forschungsergebnisse mündeten in Handlungsempfehlungen für das Dezernat Baumanagement und Technischer Betrieb der Universität Darmstadt. Diese finden sich im Abschlussbericht (Seite 115 bis Seite 119) wieder.
Im Nachfolgeprojekt EnEff:Stadt Campus Lichtwiese II werden die Forschungsergebnisse des hier beschriebenen Projektes vertieft und mit konkreten Baumaßnahmen in die Praxis überführt. Die erwarteten Ergebnisse sollen in das Energiekonzept „post2030“ münden, das nach Ablauf des aktuellen Contracting-Vertrages umgesetzt werden soll.
Für den erfolgreichen Transfer der Forschungsergebnisse in konkrete Baumaßnahmen ist die intensive Zusammenarbeit zwischen Forschung, der Bauverwaltung und dem technischen Betrieb ausschlaggebend.