Handbuch zu Niedertemperatur-Fernwärme-Konzepten
Wie nachhaltige Wärmeversorgung funktionieren kann
Wie kann erneuerbare Energie bei der leitungsgebundenen Wärmeversorgung erfolgreich eingesetzt werden? Ein internationales Forschungsteam hat dies untersucht und die Ergebnisse in einem Handbuch zusammengefasst. Niedertemperatur-Fernwärme-Konzepte sind demnach technisch machbar und wirtschaftlich.
Über die Hälfte der Energie in Deutschland wird genutzt, um Wohnhäuser, Büros und Geschäfte zu heizen und um Wärme für Gewerbe und Industrie bereitzustellen. Als Rohstoffe dienen dafür immer noch hauptsächlich fossile Brennstoffe wie Mineralöl, Erdgas oder Kohle. Damit die Wärmewende im Gebäudesektor gelingen kann, muss die Versorgung auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Fernwärmenetze können dazu einen erheblichen Beitrag leisten, da sie auf eine zentrale Versorgung setzen. Mit einer Umrüstung auf erneuerbare Wärme könnten so nicht nur einzelne Häuser, sondern ganze Straßenzüge oder Quartiere CO2-neutral versorgt werden. Besonders in dicht bebauten Gebieten ist dies äußerst effizient. Die meisten bestehenden Fernwärmesysteme nutzen bisher allerdings fossile Brennstoffe und laufen dazu auf sehr hohen Temperaturen, die für den Einsatz erneuerbarer Wärme ungeeignet sind.
Eine Schlüsseltechnologie mit großem Potenzial
Forschende aus sechs Ländern wollen das ändern und haben im Rahmen des „Annex TS2 – Implementation of Low Temperature District Heating Systems“ des „Technology Collaboration Programme“ zu Fernwärme und -kälte der Internationalen Energie-Agentur (IEA) Fallbeispiele und Handlungsempfehlungen für den erfolgreichen Einsatz von Niedertemperatur-Fernwärme gesammelt. Entstanden ist ein Handbuch, das zeigt, wie neue Netze mit erneuerbarer Wärme etabliert und bestehende Netze auf einen Niedertemperatur-Betrieb umgestellt werden können. Deutlich wird: Die Technologie ist verfügbar, wird bereits erfolgreich eingesetzt und kann je nach den Möglichkeiten vor Ort verschiedene erneuerbare Wärmequellen sowie Abwärme nutzbar machen.
Das internationale Team kam zudem zu dem Ergebnis, dass Niedertemperatur-Systeme nicht nur technisch machbar sind, sondern auch effizient und wirtschaftlich betrieben werden können. Bei einem verstärkten Ausbau rechnen die Forschenden europaweit mit möglichen Einsparungen von rund 14 Milliarden Euro pro Jahr. „Niedertemperatur-Fernwärme ist eine Schlüsseltechnologie zur effizienten Integration erneuerbarer Energien und Abwärme in unsere Energiesysteme“, sagt Dr. Dietrich Schmidt vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE), das als einer von fünf deutschen Projektpartnern mitgewirkt hat. „Die Klimaziele verlangen, den Anteil der Fernwärme an der Heizenergie in Deutschland bis 2030 etwa zu verdoppeln. Wir brauchen daher viele neue Netze.“
Niedrige Temperaturen erhöhen Effizienz ohne Komfortverlust
Temperaturen von rund 70 Grad bringen außerdem weitere Vorteile mit sich: Wärmepumpen und Solarthermie-Anlagen arbeiten in diesem Temperaturbereich deutlich effizienter. Bei der Verteilung geht weniger Wärme nach außen verloren, die Belastung der Leitungen wird reduziert und sogar die Nutzung flexibler Kunststoffrohre, statt der üblichen Stahlrohre, ist denkbar. Gleichzeitig büßt der Verbraucher keinen Komfort ein. Die niedrigeren Temperaturen sind in der Regel immer noch ausreichend, um Legionellen im Warmwasser unschädlich zu machen und Räume adäquat zu beheizen. Mit einem zukünftig sinkenden Heizbedarf durch immer besser gedämmte Gebäude wird dies noch verstärkt.
Wie erneuerbare Fernwärme heute schon zum Einsatz kommt, wie Gegebenheiten vor Ort die Planung beeinflussen und welche Probleme auftreten können, zeigt das Handbuch an verschiedenen Fallbeispielen. Allein das Fraunhofer IEE, das bereits das Vorgängervorhaben koordiniert hat, hat insgesamt 165 erfolgreich umgesetzte Niedertemperatur-Fernwärmenetze vorwiegend aus ganz Europa identifiziert und 15 als Best Practice Projekte ausführlich analysiert und dargestellt. In einigen Fällen lagen die Kosten der Anlagen um bis zu zehn Prozent unter denen konventioneller Lösungen im Hochtemperatur-Bereich.
Umsetzung mit konkreten Maßnahmen erleichtern
Als detailliertes Fallbeispiel führt das Handbuch außerdem das Energiesystem des Campus Lichtwiese der TU Darmstadt an. Da aus dem Projekt „EnEff:Stadt Campus Lichtwiese“ bereits viele Daten vorlagen, konnten die Expertinnen und Experten verschiedene Potenziale für die Temperaturabsenkung ermitteln und erproben. Auch hier stellten die Projektpartner fest, dass ein System mit niedrigen Temperaturen an der bestehenden Anlage etabliert werden könnte, um effizient fossile Energieträger durch erneuerbare zu ersetzen.
Die Forschenden betonen, dass Niedertemperatur-Fernwärmenetze leichter umzusetzen sind, als viele denken. Sie wollen Hausbesitzer, Energieversorger und Kommunen daher mit Handlungsempfehlungen bei der Planung und Organisation unterstützen. Dazu gehören unter anderem die Analyse des Temperaturbedarfs der Kunden, der Wissenstransfer mit anderen Akteuren sowie der aktive Austausch mit politischen Entscheidungsträgern.
Das vollständige Handbuch kann in englischer Sprache hier heruntergeladen werden. (ks)