Richtfest im Reallabor der Energiewende TransUrban.NRW
Wärme aus Erde und Abwasser versorgt neues Stadtquartier
Rund 2.000 Wohnungen sollen in der Mönchengladbacher Seestadt zukünftig klimafreundlich mit Wärme versorgt werden. Welche Rolle dabei der See im Quartierszentrum spielen kann, untersuchen aktuell Expertinnen und Experten.
In der Seestadt feierten kürzlich rund 300 Teilnehmende aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie Bügerinnen und Bürger Richtfest für zwei Gebäude mit 248 Wohnungen. Im gesamten urbanen Stadtquartier am Mönchengladbacher Hauptbahnhof sollen zukünftig etwa 2.000 Wohnungen sowie Büros, Hotels und Serviceeinrichtungen stehen. Das Besondere: Sie werden dann über ein klimafreundliches Niedertemperatur-Energiesystem mit Wärme versorgt – und sind damit Teil des Reallabors der Energiewende TransUrban.NRW. Ziel dieses Vorhabens ist es, in ehemaligen Kohlerevieren in Nordrhein-Westfalen den Übergang von fossilen Fernwärmesystemen zu innovativen CO2-armen Energielösungen zu unterstützen.
Oliver Krischer, Staatssekretär MdB beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, wies in seiner Rede darauf hin, dass man am Seestadt-Quartier anschaulich sehen könne, wie Forschungsergebnisse in die Praxis gebracht würden. Er lobte, dass für dieses Vorhaben unterschiedliche Akteurinnen und Akteure zusammengekommen sind. „Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müssen wir noch schneller als bisher erforderliche Maßnahmen umsetzen. Das Seestadt-Quartier als Teil des Reallabors der Energiewende TransUrban.NRW ist hierfür ein wichtiges Beispiel: Es zeigt, wie es möglich ist, die Energieversorgung in einem ehemaligen Braunkohlerevier auf CO2-arme Technologien umzustellen. Solche Erfahrungen benötigen wir, um den tiefgreifenden Umbau des Energiesystems in Deutschland in Richtung Klimaneutralität entscheidend voranzubringen", so Krischer.
Im Veranstaltungszelt konnten sich die Teilnehmenden in weiteren Gastvorträgen unter anderem von Andreas Pinkwart (Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW, digital zugeschaltet), Felix Heinrichs (Oberbürgermeister der Stadt Mönchengladbach), Markus Richthammer (Vorstand Firmengruppe des Bauunternehmens Max Bögl) sowie Klaus Franken (CEO der Catella Project Management) über das Vorhaben informieren. Zusätzlich hatten die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, sich an verschiedenen Ausstellungsständen zu den Themen Energie, Mobilität, Nachhaltigkeit und Wohnen in der Seestadt zu informieren. Projektpartner und Energieversorger stellten den Teilnehmenden ihre Konzepte vor.
Wärmeversorgung wird vorbereitet
Der Bau des Mönchengladbacher Viertels wird mehrere Jahre dauern. Während die Gebäude errichtet werden, bereiten die Projektpartner gleichzeitig die Wärmeversorgung des Quartiers vor. So hat der Rohrleitungsbau für das Nahwärmenetz bereits begonnen. Herzstück der Anlage wird der etwa 20.000 Quadratmeter große See im Zentrum des Viertels. Unter einem Teilbereich des Gewässers wird ein Erdwärme-Sondenfeld errichtet. Im Winter entzieht dieses Sondenfeld der Erde Wärme, die dann zum Heizen der Quartiersgebäude genutzt wird. „Wie und in welchem Ausmaß wir Geothermie in der Seestadt nutzen können, wird eine Probebohrung zeigen, die wir voraussichtlich in diesem Jahr durchführen“, erklären die TransUrban.NRW-Projektpartner und Geschäftsführer der Stadtentfalter GmbH Jörg Paulus und Raphael Jungbauer (Hier finden Sie weitere Informationen zur neu gegründeten Quartiersgesellschaft Stadtentfalter GmbH). Möglich wäre auch, den See als saisonalen Großwärmespeicher einzusetzen und die Seewasserwärme zum Heizen zu nutzen.
Eine weitere Wärmequelle ist das Abwasser. Hierzu wird über Wärmetauscher im Schmutzwasserkanal Abwärme gewonnen, in das LowEx-Netz eingespeist und mit Wärmepumpen auf ein geeignetes Temperaturniveau gehoben. Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern der Gebäude versorgen die Wärmepumpen mit der erforderlichen elektrischen Energie und sorgen so für eine Kopplung der Sektoren Strom und Wärme. Zusätzlich ist denkbar, dass zukünftig Solarkollektoren auf dem Asphalt oder an Fassaden sowie Absorbermatten im Seebereich Wärme aus Sonnenstrahlung gewinnen und in das Wärmenetz einspeisen können. Daneben stehen klassische Wärmequellen, bei denen Wärme aus Heizwerken oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gewonnen wird, zur Verfügung. Diese dienen als Reserve oder zur Abdeckung von Spitzenlast. Alle Komponenten befinden sich auf dem Gelände der Seestadt.
Bis jetzt nur geringer Kältebedarf
Die genaue Konzeption des Energiesystems steht voraussichtlich Mitte 2023 fest. Ein Grund hierfür ist, dass dessen Ausrichtung sich auch nach den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner richtet. Die ursprünglich geplante Kälteversorgung ist momentan zum Beispiel nicht erforderlich: „Da in den ersten beiden Bauabschnitten nur Wohngebäude vorgesehen sind, gibt es hier keinen expliziten Bedarf nach Kälteversorgung“, erklären die Projektleiter der Stadtentfalter, Kai Werner und Karol Pertschy. „Ein sommerlicher Wärmeschutz, etwa über Sonnenschutzvorrichtungen ist hier ausreichend. Wenn die Errichter der weiteren Neubauten eine Kälteverteilung- und -übergabe wünschen, können wir dies aber ermöglichen“, ergänzen beide.
Reallabore der Energiewende bringen Innovationen in die Praxis
Das Vorhaben TransUrban.NRW ist ein so genanntes Reallabor der Energiewende. Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz werden hier innovative Technologien in der praktischen Anwendung unter realen Bedingungen und im industriellen Maßstab getestet. Die Reallabore betrachten das systemische Zusammenspiel von Energiebereitstellung und Energiebedarf auf der Ebene eines konkreten Quartiers oder einer oder mehrerer ausgewählter Städte. Manche Reallabore der Energiewende erstrecken sich sogar über mehrere Bundesländer. Die in den Projekten gesammelten Erfahrungen können Fachleute anschließend nutzen, um den tiefgreifenden Umbau des Energiesystems in Deutschland entscheidend Richtung Klimaneutralität voranzubringen. Reallabore der Energiewende sind ein wertvoller Praxistest für Innovationen auf dem Weg in die energiewirtschaftliche Umsetzung und damit eine wichtige Unterstützung für den Erfolg der Energiewende.
Zum Thema „Energieoptimierte Quartiere“ sind mittlerweile fünf Reallabore der Energiewende gestartet:
DELTA – Darmstädter Energie-Labor für Technologien in der Anwendung
GWP – Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen
IW3 – Integrierte WärmeWende Wilhelmsburg
SmartQuart – Smarte Energiequartiere
Auch im Bereich „Sektorkopplung und Wasserstofftechnologien“ starteten bereits fünf Reallabore der Energiewende. Einen Überblick über alle Vorhaben sowie weiterführende Informationen zum Thema finden Sie auf energieforschung.de. (bs)