Im Vorhaben ©BINE Informationsdienst, Uwe Milles
Im Vorhaben "Drei Prozent Plus" setzen die Projektpartner das Instrument des energieeffizienten Sanierungsfahrplans in Aachen-Brand, Ludwigsburg-Schlösslesfeld sowie in der Gemeinde Roetgen und der Stadt Eschweiler in der Region Aachen um.

Energetische Sanierung im Gebäudebestand
„Finanzielle Förderung alleine reicht nicht aus“

04.08.2022 | Aktualisiert am: 15.11.2024

Bisher liegt die jährliche Sanierungsrate im Wohngebäudebestand in Deutschland bei rund einem Prozent. Wie lässt sich diese deutlich steigern und welche Hemmnisse gibt es? Hauke Meyer, Projektleiter beim Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, gab dazu am Rande des 3. Kongresses Energiewendebauen Auskunft.

Interview

energiewendebauen.de: Sie und Ihr Team haben in den letzten Jahren zur Sanierungsrate im Gebäudebestand geforscht. Mit einem Prozent ist diese momentan noch ziemlich niedrig. Was sind die Ursachen?

Zunächst ist eine energetische Sanierung teils aufwendig, technisch kompliziert sowie mit zusätzlichen Kosten verbunden, was auf viele Laien abschreckend wirkt. Chancen bieten jedoch klassische Sanierungsanlässe, wie zum Beispiel ein Wechsel der Eigentümerin oder des Eigentümers sowie ohnehin notwendige Instandhaltung. Diese gilt es möglichst auch mit Blick auf energetische Ertüchtigung auszunutzen. Denn Sanierungszyklen sind relativ lang und es kann mehrere Jahrzehnte dauern bis wieder eine neue Heizung eingebaut oder an der Gebäudehülle nachgebessert werden muss. Darüber hinaus spielen natürlich auch hohe Materialkosten und der Mangel an Fachpersonal eine zunehmend wichtige Rolle. Zur Sanierungsrate sollte außerdem gesagt werden, dass es bis 2045 und in Anbetracht der langen Sanierungszyklen nicht nur auf die Quote, sondern auch immer mehr auf die Sanierungstiefe ankommt – wenn man es mit den Klimazielen ernstmeint.

Sanierungsrate

Diese bezeichnet den prozentualen Anteil der jährlich sanierten Gebäude am Gesamtgebäudebestand. Sie sagt allerdings nichts über Sanierungsart und -tiefe der jeweiligen Gebäude aus. Diese Faktoren spielen bei der Erreichung der Klimaschutzziele 2045 ebenfalls eine wichtige Rolle.

 

 

ewb.de: In welchen Bereichen gibt es die meisten Potenziale für Sanierungen?

Schaut man auf den Gesamtbestand, müssen zwingend die heterogenen Bestände von Einzeleigentümerinnen und -eigentümern, Kleinvermietenden und Selbstnutzenden in den Fokus rücken. Sie machen mit etwa Zweidrittel den Löwenanteil des Wohnungsbestands in Deutschland aus. Auch die Verbräuche pro Person sind hier höher als in Mehrfamilienhäusern, da man eine größere Flächennutzung pro Person hat. Häufig stehen die großen Immobilienkonzerne oder Wohnungsgesellschaften im Fokus der Diskussionen. Diese haben aber meist schon konkrete und professionelle Dekarbonisierungspläne und sind am Werterhalt ihrer Bestände interessiert. Sie können auch auf entsprechende Strukturen zurückgreifen und haben Erfahrung sowie Mitarbeitende, die genau durchrechnen, wann sich eine Sanierung lohnen kann.

ewb.de: Sie wenden sich in Ihrem Forschungsvorhaben „Drei Prozent Plus“ also eher an die „Immobilienlaien“?

Genau, denn dies ist nicht nur die Gruppe, mit den meisten Einsparpotentialen bei den Treibhausgasen, sondern auch die, die aufgrund ihrer Kleinteiligkeit am schwersten zu erreichen ist. Ein wichtiges Sanierungshemmnis ist bei diesem Personenkreis, neben Aufwand und Finanzen, häufig auch ein Mangel an Wissen und Informationen in einer sehr dynamischen und zunehmend komplexen regulatorischen, technischen und Förderlandschaft. Wir arbeiten mit kommunalen Akteurinnen und Akteuren zusammen, die Beratungen anbieten und im Nachgang die durchgeführten Sanierungen erfassen.

ewb.de: Welche Maßnahmen können dabei unterstützen, die Sanierungsrate zu erhöhen?

Die finanzielle Förderung von Einzelmaßnahmen und Komplettsanierungen ist weiterhin wichtig. Mit Blick auf Quartiere mit heterogenen Einzeleigentümerinnen und -eigentümern reicht das aber nicht immer aus. Individuelle Mobilisierung und Beratung ist ein ebenfalls wichtiger Hebel- im Drei Prozent plus Projekt plädieren wir für eine aktive Rolle der Kommune. So testen unsere kommunalen Partner in der Region Aachen und in Ludwigsburg die von unserem Projektpartner Beratungs- und Service-Gesellschaft Umwelt mbH entwickelten Sanierungsfahrpläne für kommunale Quartiere. Dabei geht es auch darum, die klimaneutrale Wärmeversorgung vom Klimaziel 2045 her zu denken: Wie soll diese für das jeweilige Quartier gelingen? Welche Quartiere werden zunächst priorisiert und aus welchen Gründen? Welche Partner und Maßnahmen tragen kurzfristig explizit zur Mobilisierung bei?

„Die Herausforderung bleibt, den richtigen Mix aus Energieeffizienzmaßnahmen und regenerativer Energieversorgung zu finden: Einerseits regulativ, aber auch ganz praktisch in jedem Gebäude und für jede Eigentümerin. Hier brauchen Eigentümer Unterstützung und Beratung. “
(Hauke Meyer, DV)

Frühe Kommunikation und Partizipation sind dabei wichtig. Denn für Eigentümer ist es entscheidend zu wissen, ob zum Beispiel langfristig eine Erweiterung dekarbonisierter Fernwärmeversorgung in ihrem Quartier geplant ist oder ob sie bei der Sanierung ihrer Gebäude perspektivisch auf eine individuelle Lösung setzen sollen. Die Kommune genießt meist das Vertrauen der privaten Immobilienbesitzenden als neutrale Instanz und hat zudem die Möglichkeiten, die Umsetzer der Energiewende, wie Handwerkerinnen, Energieversorger, Energieberater und Planerinnen zusammenzubringen, zu vernetzen und in eigene städtebauliche und weitere Strategien einzubinden. Solche Netzwerkarbeit halten wir für wichtig, um eine niedrigschwellige und geschlossenen Beratungslandschaft zu fördern, die Eigentümerinnen dabei hilft, komplexe Sanierungsprozesse anzugehen.

ewb.de: Was wurde im Projekt umgesetzt?

Wir haben zusammen mit den kommunalen Partnern konkrete Mobilisierungsstrategien und -formate getestet und begleitet. Dazu zählten Thermografierundgänge, aufsuchende Beratung, Testen von Online-Formaten und Informationsmaterial, das sich explizit an Handwerker richtet. Außerdem wurden zum Beispiel in Ludwigsburg übergeordnete Strategien entwickelt, wie eine Dachmarke für die Klimaschutzaktivitäten der Stadt. Wir haben Fördermöglichkeiten untersucht, auch hinsichtlich deren Möglichkeiten zur Mobilisierung im Bereich energetischer quartierssanierung. Es gibt Quartiere, in denen durch die verschiedenen Maßnahmen die Sanierungsquote von 3 Prozent überschritten wurde.

ewb.de: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Sanierung im Gebäudebestand für die Wärmewende?

Eine sehr wichtige! Bestimmte dekarbonisierte Wärmeversorgungslösungen benötigen für einen effizienten Betrieb gewisse Mindeststandards an der Gebäudehülle. So ist es beim Heizen mit niedrigerer Temperatur wichtig, dass das Gebäude gut gedämmt ist. Ganz zu schweigen davon, dass wir immense Nutzungskonkurrenzen erwarten und schon haben, wenn es um grüne Energie geht. Dazu zählen die Bereiche Mobilität, Industrie sowie die fortschreitende und energiedurstige Digitalisierung. Daher muss natürlich sparsam mit der Energie umgegangen werden. Energieeffiziente Gebäude sind hier ein entscheidendes Puzzleteil. Klar ist aber auch, dass der Grenznutzen von Wärmeschutzmaßnahmen irgendwann stark abnimmt und angesichts der Debatten um bezahlbaren Wohnraum mancher Euro effizienter in regenerative Wärmeerzeugung investiert ist als in noch einen Zentimeter mehr Wärmedämmung. Hier die richtige Balance in Regulatorik und Förderung zu finden, ist eine große Herausforderung. Letztlich treffen aber die vielen Eigentümerinnen und Eigentümer der Gebäude die Investitionsentscheidungen. Ebenso wichtig wird es daher, auch die lokale Ebene und Umsetzungsstrukturen im Blick zu behalten und hinzuschauen, wo es Hemmnisse und Flaschenhälse bei der energetischen Sanierung gibt. Die Modellkommunen im Drei Prozent plus Projekt sind hier Vorreiter.

Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH.