Windenergie
Testfeld der Megawattklasse
Eine weltweit einmalige Testumgebung rund um eine 8-Megawatt-Prototypenwindenergieanlage haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES im Projekt „Testfeld Bremerhaven“ genutzt, um hochaufgelöste Daten zu sammeln. Mit den Ergebnissen haben sie unter anderem konkrete Verbesserungen an den Prüfständen des Forschungsinstituts vorgenommen. Weitere Forschungsprojekte sind geplant.
45 Monate lang war die Windenergieanlage AD8 der Firma Adwen Forschungsgegenstand des Projekts „Testfeld Bremerhaven“. Das Fraunhofer IWES hat die Zeit genutzt, um mit sieben Arbeitsgruppen große Datenmengen zu messen, auszuwerten und für weitere Forschungsfragen zu archivieren. Ziel des Projektteams war es, zertifizierungsrelevante Tests, die am Fraunhofer IWES auf verschiedenen Prüfständen durchgeführt werden, für diese Megawattklasse zu validieren und bestehende Modellierungsansätze zu überprüfen. Die erhaltenen Freifelddaten haben sie dafür mit den Daten verglichen, die zuvor an den Prüfständen aufgenommen wurden. „Diese Kombination aus Forschungsinfrastruktur war weltweit einmalig“, ordnet Dr. Julia Gottschall, Teilprojektleiterin und Chief Scientist Fraunhofer IWES, die Arbeiten ein. Weiterer Forschungsgegenstand war das Windfeld im Vor- und Nachlauf der Anlage. Ein Windmessmast sowie mehrere Wind-Lidar-Systeme lieferten dafür weitere Daten.
Große Datenmengen über Software zugänglich gemacht
An der kompletten Windenergieanlage waren Messsysteme angebracht. Unter anderem ein Druckmesssystem, das über 72 Sensoren an zwei Radien eines Rotorblatts verfügt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben unterschiedlichste Zustände der Anlage vermessen: unter anderem Beschleunigung und Biegelinie der Rotorblätter, Vibrationen des Antriebsstranges, Verformung der Rotorblätter sowie die erzielte Leistung der Anlage (siehe Schaubild). Über den Windmessmast und Sensoren direkt am Spinner (Spinneranemometer) sowie an der Gondel (Gondel-Lidar-System) der Forschungsanlage haben die Forschenden Daten zu Windgeschwindigkeit, Windrichtung, Temperatur sowie Wetterverhältnissen wie Regen und Sonneneinstrahlung gemessen. Für die Messung der Biegelinie und der Torsion, der Verdrehung der Blätter, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Ergebnisse des Forschungsprojektes HighRe genutzt.
Sämtliche Messdaten konnten sie über eine eigens entwickelte Plattform abrufen, welche die benötigten Datensätze bedarfsgerecht für die weiterführende Analyse zur Verfügung stellt. Grundlage dafür war die Open-Source-Software Nexus. Die Software kann unterschiedliche Datenquellen einlesen und diese nach Bedarf transformieren: So ist es etwa möglich, Messdaten zu kalibrieren oder unterschiedliche Temperaturniveaus mehrerer Messungen zu kompensieren. Auch können Messdaten aggregiert werden, um zum Beispiel Unterschiede bei der Messfrequenz auszugleichen. Die hochaufgelösten Daten sind nun dauerhaft gesichert und sollen für zukünftige Forschungsprojekte, wie etwa EMUwind, genutzt werden.
Rotormodell des Gondelprüfstands DyNaLab verbessert
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Messungen an der Forschungsanlage unter anderem dafür genutzt, das Rotormodell von MoWiT des Gondelprüfstands DyNaLab zu plausibilisieren, also nachvollziehbare und reproduzierbare Daten zu erheben. Das Rotormodell simuliert den laufenden Rotor und den auftreffenden Wind in Echtzeit. Damit bildet es die Basis für den HiL-Testbetrieb (Hardware-in-the-Loop), mit dem die Triebstränge von neu entwickelten Windenergieanlagen geprüft und zertifiziert werden.
Die Forschenden können die simulierte Last, die auf eine komplette Gondel im Prüfstand eingeleitet wird, nun zudem realistischer abbilden. Hierfür haben sie zunächst Schwingungssimulationen des AD8-Triebstrangs auf dem Prüfstand mit Messdaten aus dem Feld und einer Prüfkampagne verglichen. Die motorinduzierte Anregung, die nur beim Betrieb auf dem Prüfstand anfällt, haben sie dabei in einem Modell abgebildet. Mithilfe der Projektergebnisse konnte das Team zeigen, dass der Triebstrang auf dem Prüfstand denselben Anregungen wie im Feld unterliegt. Die motorinduzierten Erregungen sind zwar auf dem Prüfstand sichtbar, stören aber nicht die Schwingungen, die auch im Feldbetrieb auftreten. Die kombinierten Ergebnisse aus Messungen und Simulationen zeigten, dass der Prüfstand das Schwingungsverhalten, das im Feldbetrieb auftritt, reproduzieren kann.
Tests zum Fault-Ride-Through-Verhalten der AD8 am Netzemulator des DyNaLab
Durch eine eigens aufgebaute Umschaltstation war es möglich, die Forschungsanlage sowohl an den 2,1 Kilometer entfernten Netzsimulator des DyNaLabs als auch an das Mittelspannungsnetz des Energieversorgers anzuschließen – je nach aktuellem Bedarf. Die ursprünglich geplanten Tests zum Fault-Ride-Through-Verhalten (FRT) der Forschungsanlage mit dem Netzsimulator des DyNaLabs konnten jedoch nicht wie geplant stattfinden. Die Projektpartner haben wie geplant die Forschungsanlage an den Netzemulator angeschlossen. Dabei wurde das DyNaLab für die Tests durch den Energieversorger vom übrigen Netz des Fischereihafens getrennt. Es war dadurch, als einziger Verbraucher, über eine Leitung an einen separaten Transformator direkt an das Hochspannungsnetz geschaltet. Durch die neue Netzkonstellation kam es zu elektrischen Interaktionen zwischen dem elektrischen System des DyNaLabs und der Leitung des Energieversorgers, welche zu Systemausfällen am DyNaLab geführt haben.
Jannik Barthel, Teilprojektleiter vom Fraunhofer IWES, schlussfolgert daraus: „Dieses Phänomen zeigt welche hochfrequenten Probleme im zukünftigen Netzbetrieb auftreten können. Insbesondere bei Offshore-Netzen ist dieses aktuell zu erwarten. Auch dort sind Umrichtersysteme als einzige Komponenten in einem Mittelspannungsnetz installiert.“
Ein weiteres Ergebnis der Arbeiten: Durch Tests zum FRT-Verhalten auf Prüfständen kann sehr viel Zeit für die Zertifizierung neuer Anlagen eingespart werden. Im Feld werden solche Tests mit FRT-Containern durchgeführt. Diese Tests sind zeit- und kostenintensiv und nicht reproduzierbar. Die Ergebnisse fließen in einen Vorschlag zu Änderungen der internationalen Norm für Windenergieanlagen (IEC61400-21-4) ein. Unterschiedliche sowie neue Prüfverfahren sollen demnach verstärkt berücksichtigt werden können.
Messdaten beweisen: Windenergie-Simulationsmodell für große Megawattanlagen geeignet
Das Tool MoWiT ist ein Modell, das die Lasten und die Frequenzen an einer Windenergieanlage abbildet. Dieses Modell wird an den Prüfständen des Fraunhofer IWES (DyNaLab und Hil-GridCop) als Echtzeitmodell genutzt. Es ergänzt das Echtzeit-Rotormodell um weitere Komponenten der Windenergieanlage, zum Beispiel für die Offshore-Simulation. Anhand der Messdaten an der Forschungsanlage AD8 konnte MoWiT für den Einsatz großer Megawattanlagen validiert werden. Der Wert der Prüfung hat sich durch diesen Beleg nochmals gesteigert. Neue Komponenten können demnach anhand des Modells realistisch geprüft werden, um die benötigte Zertifizierung zu erlangen.
Aktuell werden die Daten unter anderem für das Elektrolyseur-Testfeld des Hydrogen Lab Bremerhaven genutzt, das in direkter Nachbarschaft zur AD8 gebaut wird. Die Daten tragen dazu bei, das Zusammenspiel von Windenergieanlage und Elektrolyseur zu testen. (mb)