Temperaturempfindliche Materialien
Selbstregulierendes Fensterglas reduziert Kühlbedarf
Ob Jalousien, Raffstores oder Markisen: Außenliegende Verschattungssysteme halten zwar die Sonne ab, sind aber störanfällig und wartungsintensiv. Forschende entwickeln Lösungen für Glasfassaden, die sich bei starker Sonneneinstrahlung eintrüben - und eine energieeffiziente Alternative sein könnten.
Damit eine neue Glasfassade die Energieeffizienz von Gebäuden verbessern kann, muss diese sich automatisch an die Wärmestrahlung der Sonne anpassen. Möglich machen dies so genannte thermotrope Materialien. Diese können in Form eines Verbundglases Teil einer Mehrfachverglasung sein.
Thermotrope Materialien schalten bei Temperaturerhöhung von einem klaren in einen stark streuenden beziehungsweise trüben Zustand. Dadurch wird ein Teil der Sonnenstrahlung gestreut und reflektiert: Der Energiebedarf für die Kühlung im Inneren sinkt und somit auch der Energiebedarf von Gebäuden. Bei niedrigen Temperaturen liegen die thermotropen Materialien in einem klaren Zustand vor und lassen dadurch die solare Wärme ins Haus. Der Heizbedarf bleibt möglichst gering.
Wie die thermotropen Materialien für den Einsatz in Glasfassaden zusammengesetzt sein müssen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im BMWK-geförderten Vorhaben Silitrop untersucht. Dieses wurde unter Federführung des Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP gemeinsam mit zwei Projektpartnern durchgeführt.
Gleicher Brechungsindex für alle Materialien
So genanntes Phasenwechselmaterial (Phase Change Material – PCM) ist ein thermotropes Material. Im Vorhaben Silitrop haben die Forschenden das PCM in Glasverbund-Scheiben eingesetzt. Vorher wurde dieses verkapselt. Dabei dürfen die Kapseln nur wenige Mikrometer (µm), also Millionstel Meter groß sein, damit sie die Scheiben bei niedrigen Temperaturen nicht eintrüben. Danach werden die Kapseln in eine ein bis zwei Millimeter dicke Silikonschicht eingebettet und zwischen Glasscheiben verklebt.
Sowohl für das Silikon als auch für Kapselhülle und –füllung gilt: Der so genannte Brechungsindex sollte für alle kombinierten Materialien im ausgeschalteten Modus, also bei niedrigen Temperaturen, möglichst gleich sein. Denn an der Grenzfläche zwischen zwei Medien mit unterschiedlichen Brechungsindizes wird Licht gebrochen und gestreut. Dies wiederum führt zu einer Eintrübung der Glasfläche. Dieser Vorgang soll aber erst bei stärkerer Sonneneinstrahlung und nicht bereits durch die Zugabe der Funktionskapseln selbst ausgelöst werden. Die Expertinnen und Experten mussten zu diesem Zweck im Vorhaben Silitrop die Brechzahlen aller Komponenten sehr genau aneinander anpassen.
Sie schafften es schließlich, geeignete Mikrokapseln zu entwickeln und auch in anwendungsrelevanten Mengen herzustellen. Den Brechungsindex der Silikonmatrix haben die Forschenden ebenfalls optimiert. Dazu nutzten sie kommerziell verfügbare Bausteine der Silikone mit höherer Brechzahl. Letztendlich ist es also gelungen, die thermooptischen Eigenschaften thermotroper Kapselsysteme und die von Silikonmaterialien aneinander anzugleichen.
Kühlbedarf sinkt deutlich
Ob die neuen Glasfassaden tatsächlich für Energieeinsparungen sorgen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst im Labor untersucht. Dazu verglichen sie die neu entwickelten Verglasungen mit solchen ohne thermotrope Funktion. Das Ergebnis: Die thermotrope Funktion erhöht zwar leicht den Heizenergiebedarf, reduziert dafür aber deutlich den Kühlenergiebedarf – beispielsweise durch den Betrieb von Klimaanlagen. Dies führt in Summe und über das Jahr betrachtet zu Energieeinsparungen.
Besonders effektiv war die thermotrope Schicht, wenn sie auf der Außenseite des Fensters angebracht war. Hier konnten Einsparungen von bis zu 20 Prozent erreicht werden. Eine innenliegende thermotrope Glas-Verbund-Schicht sparte noch etwa 10 Prozent Energie ein.
Neue Glaslösung soll in Gebäude integriert werden
Im Labormaßstab hat sich die Kombination aus Funktionskapseln und maßgeschneidertem Silikonwerkstoff als wirksam erwiesen. Damit diese Lösung auch in der Praxis und auf größeren Glasflächen sinnvoll eingesetzt werden kann, muss die aktuelle Silikonrezeptur aber noch weiter verbessert werden. Die Projektpartner planen, das Verbundglas in Demonstrationsgebäude zu integrieren. Hier können sie Messungen und Optimierungen unter realen Bedingungen und über einen längeren Zeitraum durchführen. (bs)