
Forschungsprojekt Berti
Thermochemischer Speicher macht Abwärme kostengünstig nutzbar
Bei vielen Prozessen bleibt Energie in Form von Abwärme ungenutzt. Forschende im Projekt BERTI haben deshalb eine Anlage entwickelt, die Wärme nahezu verlustfrei speichert. Ein bewegtes Reaktionsbett sorgt dafür, dass die Kapazität bei hoher Leistung flexibel bleibt. Das spart zusätzlich Kosten.
Ob für Stahl, Chemieprodukte oder Glas – viele Industrieprozesse finden bei sehr hohen Temperaturen statt und sind entsprechend energieintensiv. Doch nur ein Teil dieser Energie wird auch direkt genutzt. Der Rest geht als Abwärme an die Umgebung. Laut einer Abschätzung des Instituts für Energie- und Umweltforschung (ifeu) besteht in Deutschland ein großes Potenzial an industrieller Abwärme mit einem Temperaturniveau von über 140 Grad Celsius. Theoretisch könnten jährlich rund 316 Petajoule Energie zusammenkommen, was umgerechnet etwa 2,3 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs entspricht. Dieses Potenzial wollten die Forschenden im Projekt BERTI nutzbar machen. Sie haben ein Konzept für einen thermochemischen Wärmespeicher entwickelt, der Abwärme von über 400 Grad Celsius nahezu verlustfrei speichern kann.
Energie bei Hochtemperaturprozessen wiederverwerten
„Die Möglichkeit, Energie zu speichern, speziell thermische Energie, spielt eine Schlüsselrolle für eine kostengünstige und ressourcenschonende zukünftige Energieversorgung“, sagt Projektleiter Dr. Marc Linder vom Institut für Technische Thermodynamik am DLR. Er und sein Team haben deshalb einen thermochemischen Energiespeicher mit bewegtem Reaktionsbett im Labormaßstab getestet. Die Technologie soll vor allem bei Hochtemperaturprozessen zum Einsatz kommen. „BERTI adressiert den Kern der Entwicklung innovativer thermischer Speicher und erschließt neue Anwendungsfelder“, präzisiert Linder.
Ein solches Anwendungsfeld findet sich etwa bei bestimmten Prozessen, die chargenweise bei hohen Temperaturen ablaufen. Es wird dazu beispielsweise ein Behälter aufgeheizt und ein Produkt im Inneren hergestellt oder veredelt. Dabei fällt Abwärme an. Mit dem BERTI-Speicher könnte diese Abwärme gespeichert und für den nächsten Zyklus des Aufheizens wieder genutzt werden. Das Speichermaterial ist transportabel, sodass die Wärme auch an anderen Anlagen oder sogar in einer anderen Fabrik eingesetzt werden kann.
Kostengünstiges Konzept überzeugt mit hoher Speicherdichte
Das BERTI-Konzept ist vielversprechend, denn der Speicher ist besonders leistungsfähig: Er arbeitet auf Basis einer reversiblen chemischen Reaktion, die Wärmenergie aufnimmt beziehungsweise freisetzt. Da das Reaktionsbett bewegt wird, kann zudem die Lagerung des Speichermaterials vom Reaktionsraum getrennt werden, und eine hohe Speicherdichte wird erreicht. Die Kapazität ist damit kostengünstig und flexibel erweiterbar. Hat das Material reagiert, kann es in einem externen Behälter ohne Isolierung gelagert werden und es entstehen im Vergleich zu sensiblen Speichern (wie etwa Wasserspeichern) auch langfristig kaum Verluste. Im Forschungsprojekt BERTI wurden ingenieur- und materialwissenschaftliche Disziplinen kombiniert, um die einzelnen Teilbereiche in Bezug auf das Speichermaterial, die Bewegung des Feststoffes und die chemische Reaktion weiterzuentwickeln.
Tonkapseln sorgen für stabile Reaktion

Als Speichermaterial haben die Forschenden zunächst gelöschten Kalk ausgewählt, der bei der Reaktion von gebranntem Calciumoxid mit Wasser entsteht (CaO/Ca(OH)2). In Vorversuchen ergab sich allerdings das Problem, dass dieser dazu neigt, bei der Reaktion Klumpen zu bilden. Konstante Materialeigenschaften, insbesondere hinsichtlich der Partikelgröße, sind aber entscheidend. Nur so kann der Speicher später wiederholt und ohne Leistungseinbußen be- und entladen werden. „Das Speichermaterial zu optimieren, stellte eine besondere Herausforderung dar“, erläutert Dr. Sandra Afflerbach vom Lehrstuhl für Energie und Umweltverfahrenstechnik an der Universität Siegen. „Denn erst, wenn die mechanische Stabilität der Granulate erhöht wird, lassen sich diese überhaupt in einem Reaktor mit bewegtem Reaktionsbett nutzen.“
Nach ersten Experimenten mit unterschiedlichen Materialien und Techniken entwickelten die Forschenden daher eine Lösung nach dem „Core-Shell-Prinzip“ (zu Deutsch „Kern-Mantel-Prinzip“). Das vorgranulierte Kalkhydrat wird dazu mit Ton ummantelt. Mit dieser Methode entsteht eine feste und widerstandsfähige Hülle, die das Speichermaterial in Form hält. Die Reaktion im Inneren kann trotzdem stattfinden, da Poren in der Hülle den dafür benötigten Wasserdampf in die Kapsel lassen. Das BERTI-Team stellte Speichermaterial im Kilogramm-Maßstab für den Funktionsnachweis her und optimierte sowie standardisierte dabei die Fertigungsmethode.

Neues Simulationstool bildet bewegtes System ab
Parallel wollten die Forschenden analysieren, wie sich das Speichermaterial bei der Bewegung im Reaktor verhält. Dazu entwickelten sie ein Simulationstool für Gas-Feststoff-Reaktionen. Dieses berücksichtigt sowohl den Stoff- und Wärmetransport als auch das Strömungs- beziehungsweise Förderverhalten des Materials. Um all diese Komponenten abbilden zu können, kombinierten die Forschenden zwei numerische Modelle: ein hochauflösendes DEM-Modell (Diskrete-Elemente-Methode) zur Feststoffbewegung und ein vereinfachtes FEM-Modell (Finite-Elemente-Methode), das sowohl physikalische als auch chemische Zusammenhänge abbilden kann.

Dieser Ansatz bildete den Ausgangspunkt von aufwändigen numerischen Simulationsrechnungen, die erst mit modernen, leistungsfähigen Rechnern möglich wurden. Hier zeigt sich, wie grundlegende Mathematik und Digitalisierung in der angewandten Energieforschung erfolgreich zusammengebracht werden, um die Industrie für die anstehende Wärmewende zu ertüchtigen.
Diese Überlegungen sind besonders wichtig, da sich das Material im Reaktor bewegt. Um eine gleichmäßige Reaktion zu gewährleisten und verstopfte oder blockierte Rohre zu verhindern, muss die Anlage entsprechend des Speichermaterials optimiert werden. Dabei spielen verschiedenste Faktoren von der Dichte des Materials, über die Flussgeschwindigkeit bis hin zu Reibungseffekten eine Rolle. Einige dieser Faktoren hängen direkt von der Reaktion ab. Wird das Speichermaterial etwa nicht komplett umgesetzt, entstehen Unterschiede in der Dichte. Je nachdem, wo das passiert, ändert sich das Bewegungsverhalten. Um das Simulationsmodell zu validieren, führten die Forschenden verschiedene Versuche zu den einzelnen Parametern durch. Die Ergebnisse nutzten sie, um das Konzept für den Funktionsnachweis entsprechend anzupassen.
Testanlage liefert Funktionsnachweis

Der in BERTI entwickelte und getestete Wärmespeicher besteht aus drei Hauptteilen: oben ein Vorratsbehälter, in der Mitte der Reaktor und unten ein Auffangbehälter. Hydraulische Klappen kontrollieren den Materialfluss. Die im Forschungsprojekt entwickelten, mit Speichermaterial gefüllten Kapseln wandern in Rohren schwerkraftgetrieben nach unten. Auf der Mantelseite der Rohrbündel strömt heiße Luft als Wärmeträger. Über einen weiteren Anschluss wird Wasserdampf zugeleitet.
Für die Versuchsreihe wählten die Projektpartner moderate Reaktionsbedingungen, um die Charge nicht zu stark zu belasten. Während der Dehydratation, also wenn das Material Wärme aufnimmt (Beladung), wurde ein Umsatz zwischen rund 55 bis 75 Prozent erreicht – über die Hälfte des Materials hat also vollständig reagiert. Nach dem Versuch floss das Material aus dem Reaktor heraus und die Kapseln waren größtenteils intakt. Während der Hydratation, wenn Wasserdampf eingebracht wird und das Material Wärme abgibt (Entladung), konnten die Forschenden Umsätze zwischen rund 60 bis 85 Prozent messen.
Ergebnisse zeigen auch für andere Anwendungen Potenzial
„Grundsätzlich führt der erfolgreiche Ansatz, das Speichermaterial einzukapseln, zu einer Vielzahl von verfahrenstechnischen Optionen, die zu Beginn des BERTI-Projekts nicht denkbar waren“, sagt Marie Gollsch vom Institut für Technische Thermodynamik am DLR. „Um den zentralen Vorteil eines kostengünstigen thermochemischen Speichermaterials mit hoher Energiedichte effektiv nutzen zu können, muss allerdings der verfahrenstechnische Aufwand für die Reaktion möglichst minimiert werden.“
Ein Reaktionsraum, der beide Reaktionsrichtungen abdeckt, ist allerdings sehr aufwendig. Das BERTI-Team sieht daher eine vielversprechende Möglichkeit darin, den Reaktor an den jeweiligen Be- beziehungsweise Entladungsfall des Speichers zu adaptieren. So würden nicht nur Leistung und Kapazität, sondern auch Beladung und Entladung getrennt. Ein auf BERTI aufbauendes Folgeprojekt I-TESS-NRW (unterstützt vom Land NRW mit Mitteln der EU), das vor allem die Skalierbarkeit der Technologie für Anwendungen bei der Fernwärme untersucht, läuft derzeit noch.
Die in BERTI entwickelten Ansätze können zudem auf andere Anwendungsfelder übertragen werden. Dies gilt insbesondere bei der Modifikation des Speichermaterials und der Reaktionsführung. Bei der thermischen Aufwertung von Wärme könnte der BERTI-Speicher etwa dabei helfen, auch höhere Temperaturen abzudecken. Bisher ist dies nur mit Wärmepumpen im Niedertemperaturbereich möglich. Zudem könnte Abwärme durch das bewegte Reaktionsbett gebündelt, gespeichert und transportiert werden. Die Erkenntnisse zur Materialmodifikation im Hochtemperaturbereich sowie die entwickelten Simulationsmodelle sind voraussichtlich auch für andere Anwendungen und Anlagen mit ruhenden Reaktionsbetten nutzbar. (ks)