Windenergie
Intelligente Systeme überwachen Windenergieanlagen
Stürme, Wellengang, Salzwasser: Windenergieanlagen auf See müssen viel aushalten. Türme und Tragstrukturen der Offshore-Anlagen sind entsprechend stark belastet. So vermindert Rost beispielsweise die Tragfähigkeit der Strukturen. Deshalb beschichten die Hersteller die Oberflächen der Bauteile, beispielsweise den Turm, mit speziellen Schutzschichten, um die angestrebte Lebensdauer zu gewährleisten. Jedoch können sie das Altern der Anlagen nicht ganz verhindern. Umso wichtiger ist es, Veränderungen an der Oberfläche der Türme frühzeitig zu erkennen, um damit größere Schäden oder das Abschalten der Anlagen zu verhindern. Das spart Zeit und Kosten. In einem kleinen Onshore-Windpark haben die Forschenden ein neues Instandhaltungsmodell bereits erfolgreich umgesetzt.
Oberflächen autonom kontrollieren
Die Intention der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Unternehmen und Hochschulen im Projekt ISyMOO war es, die Außenhaut der Türme und deren Oberflächenschutzsysteme ausschließlich auf Basis digitaler Daten zu erfassen und zu bewerten. Dafür nutzen sie autonome Inspektionstechniken, beispielsweise Drohnen und Kameras, sowie spezielle, an den Türmen installierte Sensoren. Diese messen sowohl meteorologische und ozeanografische Daten, wie Lufttemperatur und –feuchtigkeit, Strömungsgeschwindigkeit und Salzgehalt als auch Korrosionsdaten, beispielsweise den Abbaugrad am Stahl. Mit Hilfe der erfassten Messwerte und verschiedener Verfahren, beispielsweise neuer algorithmischer Methoden und Machine Learning Prozessen, sollen die relevanten Belastungen und der Zustand der Oberflächen ermittelt werden. Die gesammelten digitalen Messdaten und Fotos sowie virtuelle Designdaten werden an die Leitstelle auf dem Festland übermittelt und dienen als Grundlage für das Instandhaltungsmodell. Um die komplexen und großen Datenmengen zu dokumentieren und zu verwalten, haben die Projektteams eine Online-Plattform entwickelt.
Zudem berücksichtigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Ihrem Instandhaltungsmodell, welche Auswirkungen bestimmte Schäden auf die Windenergieanlage haben. Hierzu ermitteln sie den Schadenstyp und -umfang und verknüpfen diesen mit der Funktion des entsprechenden Bauteils. So können sie die Risiken von Schäden in definierte Kategorien einteilen. Auf Basis der entwickelten Prozeduren lassen sich aus den Daten Inspektions- und Reparaturkonzepte ableiten und in das Instandhaltungsprogramm integrieren. Momentan bewertet speziell ausgebildetes Personal die Daten zeit- und kostenintensiv per Hand.
Schäden automatisch erkennen und klassifizieren
Digitale Fotos oder Videos der Windenergieanlage werden mittels Maschinellem Lernen automatisch ausgewertet. Dabei lernt das Computerprogramm zunächst aus einer Vielzahl eingespeister visueller Informationen, die Art und Intensität der Schäden zu erkennen und zu klassifizieren. Auf Basis der bewerteten visuellen Daten sowie eines zeitlichen Zustandsmodells können Inspektions- und Reparaturkonzepte abgeleitet werden. So lassen sich die Instandhaltungszyklen kontinuierlich optimieren. Da Reparaturkosten auf See extrem hoch sind, kann das System einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Betriebskosten zu senken.
Virtueller Zwilling zeigt festgelegte Bereiche der Turmstruktur
Um definierte Referenzbereiche der Turmstruktur, entsprechend einem Foto, zu betrachten, nutzen die Wissenschaftsteams virtuelle Zwillinge der Windenergieanlagen. Dafür haben sie die Methode „Virtual Twin Computation“ im Projekt ISyMOO erstmals angewendet. Zunächst werden die Türme der Windenergieanlagen mit handelsüblichen Digitalkameras gescannt. Im Anschluss werden die Bilder zu einem „Virtual Twin“ zusammengerechnet. Um die gemessenen Sensordaten und Bilddaten für die Virtual Twins zu speichern und zu bewerten haben die Forschenden ein Zeitreihen-Datenbanksystem samt Web-Analyseoberfläche entwickelt. So ein Datenbanksystem ist darauf spezialisiert, beispielsweise Sensordaten regelmäßig über einen Zeitraum zu speichern und zu analysieren. Es dient dem Monitoring von Anlagensystemen oder auch Bauteilen.
Überwachen und vorausschauend planen
Für das Instandhaltungsmodell ist es zunächst erforderlich, die ermittelten Daten auf definierte virtuelle Referenzflächen der Bauwerke anzuwenden. Der Zustand jeder Referenzfläche, wird nach bestimmten Zeitmarken (beispielsweise alle zwei Jahre) über die gesamte Betriebsdauer der Anlage hin bewertet und dokumentiert. In Abhängigkeit von Struktur und Funktion der Bezugsfläche wird ein Schadensrisiko definiert. Sowohl der Zustand der Oberflächen der Windenergieanlage als auch das jeweilige Risiko werden über visuelle Daten bestimmt. Die Bilddaten fließen in eine web-basierte Online Plattform (BIIGLE 2.0) und werden bewertet. Der virtuelle Zwilling dient der Visualisierung.
Mittels einer Grenzzustandsanalyse der Strukturen werden der vorhandene und der zulässige Zustand der Oberflächen verglichen. Daraus resultieren geeignete Überwachungs- oder Reparaturszenarien. Hier unterstützt das eigens entwickelte mathematisch-empirische Abbaumodell für Beschichtungen und Stahloberflächen. Des Weiteren haben die Forschenden eine Simulationsprozedur erarbeitet, die die Widerstandsfähigkeit korrodierter Bauteile gegenüber wechselnder mechanischer Belastung berücksichtigt.
Instandhaltungsmodell im Praxistest
Das Instandhaltungsmodell mit den entsprechenden Datenschnittstellen ist bereits verfügbar und kann in Pilotprojekten verwendet werden.
Zum ersten Mal im Einsatz war es bereits in einem kleinen Onshore-Windpark. Die Forschenden haben die entwickelten Methoden, um Oberflächensysteme von Stahlbauten weitestgehend automatisiert zu bewerten, erfolgreich erprobt. Kleines Extra: Das Instandhaltungsmodell lässt sich ebenfalls auf Bauten mit gleicher Geometrie wie Silos, Schornsteine und Tragpfähle übertragen. (mm)