Rund 100 Solarexpertinnen und -experten nahmen am National Day „Solartechnik für die Zukunft“ in Berlin teil. © Projektträger Jülich
Rund 100 Solarexpertinnen und -experten nahmen am National Day „Solartechnik für die Zukunft“ in Berlin teil.

National Day IEA SHC: Solarpotenziale im Realitätscheck

19.11.2024 | Aktualisiert am: 20.11.2024

Deutschland ist in Europa führend bei der solaren Fernwärme. Dass es trotzdem noch viele Entwicklungsmöglichkeiten beim realen Ausbau der Solarwärme gibt, hat der National Day „Solartechnik für die Zukunft“ des Solar Heating and Cooling Programms (SHC) der IEA gezeigt.

Rund 100 internationale Solarexpertinnen und -experten besuchten die vom Projektträger Jülich organisierte Veranstaltung Anfang November in Berlin. Diese bot einen Überblick über den deutschen Wärmemarkt und vertiefte Einblicke der Solarenergienutzung im Gebäude sowie in solarer Fern- und Prozesswärme. Mehrere Rednerinnen und Redner betonten hier das enorme Potenzial der Solarwärme für die Energiewende. Sie wiesen auf die große Lücke zwischen theoretischem Potenzial und realer Marktentwicklung der Solarwärme hin.

So veranschaulichte etwa Professor Dr. Hans-Martin Henning vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme die neuesten Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Studie „Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem“ für Solarwärme aus Simulationen mit REMod-Modell, einem nationalen Energiemodell, das kostenwirtschaftliche Pfade zur Klimaneutralität im Jahr 2045 analysiert. In vier verschiedenen Szenarien trägt die Solarwärme bis 2045 zwischen 27 und 40 Terrawattstunden (TWh) zur gesamten Wärmeerzeugung bei. Ende 2023 lieferten deutsche Solarthermieanlagen laut Statistik des Bundesverbandes für Solarwirtschaft (BSW) 9,3 Terrawattstunden. Das bedeutet, dass in den nächsten 20 Jahren drei- bis viermal mehr Kollektorfläche installiert werden muss als bisher.

Die Marktzahlen des BSW Solar zeigen jedoch einen umgekehrten Trend. Die jährlich neu installierte Kollektorfläche reicht nicht aus, um die aus Altersgründen stillgelegten Kollektorflächen zu kompensieren. Das bedeutet, dass die insgesamt in Deutschland in Betrieb befindliche Kollektorfläche ab- statt zunimmt.

Solare Fernwärme: Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens

Deutschland ist in Europa führend bei der solaren Fernwärme. Gemessen an der neu installierten Leistung im Jahr 2023 liegt Deutschland laut dem IEA SHC Bericht Solar Heat Worldwide weltweit auf Platz zwei hinter China. Auf dem National Day berichtete der Projektentwickler Ritter XL Solar über den Bau der künftig größten solaren Fernwärmeanlage in Deutschland: ein Vakuumröhrenfeld mit 41 Megawatt (MW) für die Stadt Leipzig, das 2026 in Betrieb gehen soll und dann einen solaren Anteil von 1,6 Prozent erreichen soll.

Der Markt für Solaranlagen in Wärmenetzen entwickelt sich dynamisch, berichtete Magdalena Berberich vom Stuttgarter Institut Solites. Während in den letzten 20 Jahren 58 Anlagen mit einer Leistung von 114 MWth in Betrieb genommen wurden, sind derzeit 12 Anlagen für die solare Nahwärme mit sogar 100 MWth in der Realisierung. „Wir sollten uns für eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren einsetzen“, forderte Berberich, da die Projektentwicklungszeiten immer noch viel zu lang seien.

Sie zitierte Ziele aus dem Bericht Klimaneutrales Deutschland 2045 der Unternehmensberatung Prognos. Demnach sollen Kollektorfelder bis 2045 13 TWh in Wärmenetze einspeisen. Dies entspricht 30 Millionen Quadratmeter Kollektorfläche (21 GWth), wobei ein spezifischer Ertrag von 433 kWh/m2 angenommen wird. Im Vergleich zu den derzeit in Betrieb befindlichen solaren Nahwärme-Anlagen mit 114 MWth ist dies ein gewaltiger Sprung.

Christian Maaß, Abteilungsleiter Wärme, Wasserstoff und Effizienz im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz während seiner Rede auf dem National Day IEA SHC. Foto: Projektträger Jülich

Wärmeplanung fordert ein Umdenken

Die größte Herausforderung für die deutsche Fernwärmebranche ist die Pflicht zur Wärmeplanung. „Die Dekarbonisierung von Wärmenetzen ist kostengünstiger als die einzelner Heizungsanlagen, deshalb brauchen wir kommunale Wärmeplanung“, erklärte Christian Maaß, Abteilungsleiter Wärme, Wasserstoff und Effizienz im Bundeswirtschaftsministerium. Das Wärmeplanungsgesetz ist seit Januar 2024 in Kraft. Es verpflichtet Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, bis Juni 2026 einen Wärmeplan zu erstellen, der den Weg zur Klimaneutralität beschreibt. Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern haben bis Juni 2028 Zeit.

„Das ist ein Umdenken, denn bisher war es den Gebäudeeigentümern überlassen, sich für die günstigste, klimafreundliche Heizungstechnik zu entscheiden. Jetzt muss die Kommune die Hauseigentümer bei dieser Entscheidung unterstützen“, so Maaß. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt für eine erfolgreiche Wärmewende sei das „Bewusstsein, dass wir die Infrastruktur verändern müssen“. Es sei in der Tat ein Problem, so Maaß, dass „viele Leute davon überzeugt sind, dass wir nur das Gas grün machen und die ganze Infrastruktur gleich lassen können.“

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Solare Prozesswärme: Schnelle Abschreibung verkürzt Amortisationszeit

Die größte Lücke zwischen Potenzial und tatsächlicher Marktentwicklung klafft in Deutschland im Segment der solaren Prozesswärme. Bislang sind bundesweit solare Industriewärmeanlagen mit einer Gesamtfläche von 48.172 Quadratmetern installiert, ein großer Teil davon für die solare Trocknung. Felix Pag von der Universität Kassel stellte die Ergebnisse einer Potenzialstudie vor, die einen Beitrag von 20 TWh Solarwärme für die Industrie prognostiziert. Potenziell wären 50 Millionen Quadratmeter Kollektorfläche notwendig, um diesen Bedarf zu decken.

Pag unterstrich die Tatsache, dass solare Prozesswärme-Lösungen in Bezug auf die Integration flexibel sind und in der Regel zur Optimierung der Energieeffizienz beitragen. Um die Einführung zu beschleunigen, schlug der Wissenschaftler zwei wichtige Maßnahmen vor: Die Subventionierung von Machbarkeitsstudien und die Einführung einer schnelleren Abschreibung.

„Man kann nicht genug Investitionskostenzuschuss geben, um sicherzustellen, dass die Amortisationszeit für eine solare Prozesswärmeanlage etwa drei Jahre beträgt, was von der Industrie gefordert wird“, betonte auch Prof. Klaus Vajen von der Universität Kassel. Er forderte eine sehr schnelle Abschreibung, weil diese die Amortisationszeit deutlich verkürzt.

Im Anschluss an den National Day trafen sich die Expertinnen und Experten von IEA-SHC zu einer Executive Committee (ExCo) Tagung. Hieran nahmen Forschende aus 13 Ländern und vier Kontinenten teil und diskutierten aktuelle Fragestellungen. Das Treffen wurde vom Projektträger Jülich ausgerichtet.

Der Green Chiller Verband bot in den Pausen des National Day eine Führung durch das Sorptionsklassenzimmer auf Rädern an. Dieses mobile Klassenzimmer entwickelt innerhalb des Projektes SorptionsTakeoff ist seit einem Jahr im Einsatz und kann z.B. in Berufsschulen für Kältetechnik als Praxiseinheit angefordert werden. Eine komplett offene Sorptionskälteanlage ermöglicht es, die Technik anschaulich zu erklären und verschiedene Betriebszustände zu veranschaulichen. Auf dem Bild demonstriert Christian Kemmerzehl, Geschäftsführer der EAW Energieanlagenbau, die Anlage. Foto: Projektträger Jülich

(Quelle: www.iea-shc.org)

Was ist das IEA SHC Programm?

Das Solar Heating and Cooling Programm der Internationalen Energieagentur wurde 1977 als eines der ersten Forschungskooperationsprogramme der Internationalen Energieagentur ins Leben gerufen. Mit multidisziplinärer internationaler Forschung und Wissensaustausch sowie Markt- und Politikempfehlungen arbeitet IEA SHC daran, solarthermische Systeme für die verschiedenen Anwendungsfelder zu etablieren. Technische und nicht-technische Hindernisse sollen abgebaut werden. Das Bewusstsein wichtiger Entscheidungsträger soll gestärkt und die Industrie dazu ermutigt werden, neue solarthermische Produkte und Dienstleistungen zu nutzen. Das BMWK fördert die Mitarbeit der deutschen Forschenden im Solar Heating and Cooling Programm.