
Schiffsbasierte Kohlenstoffabscheidung
Wie der Schiffsverkehr klimaneutral werden kann
Schiffe transportieren rund 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs. Dabei pusten sie jährlich etwa eine Milliarde Tonnen CO2 aus ihren Schornsteinen. Im Forschungsverbund ACT Everlong arbeitet ein internationales Team daran, das klimaschädliche Kohlendioxid direkt an Bord abzutrennen und im Hafen als Rohstoff zu löschen.
Die schiffsbasierte Kohlenstoffabscheidung (englisch: Ship-Based Carbon Capture, kurz SBCC) könnte im Vergleich zu emissionsfreien Kraftstoffen wie Ammoniak und Wasserstoff eine kostengünstigere Möglichkeit für klimaneutral betriebene Schiffe werden. Doch noch sind viele rechtliche, technische und ökonomische Fragen ungeklärt. Wie lässt sich beispielsweise die Abscheidetechnik bestmöglich mit der bestehenden Infrastruktur an Bord verbinden? Wie kann das CO2 optimal in den Häfen entladen und gespeichert werden? Und wie müssen ein europäisches Entladenetz und dessen Rechtsgrundlagen aussehen? Das ACT-Everlong-Wissenschaftsteam aus 15 Ländern untersucht diese und weitere Aspekte auf zwei Schiffen. Mit an Bord: Forschungseinrichtungen, Motorenhersteller und Schiffseigner. Aus Deutschland beteiligen sich die MAN und das Forschungszentrum Jülich.
Ship-Based Carbon Capture erstmals im realen Betrieb
„In ACT Everlong wird SBCC nun nach verschiedenen Vorläuferprojekten erstmals auf zwei LNG-betriebenen Schiffen im realen Betrieb eingesetzt“, erläutert Dr. Petra Zapp. Die Energie- und Verfahrenstechnikerin vom Forschungszentrum Jülich ist die Projektleiterin für den deutschen Part. Eines der Schiffe ist ein riesiger Schwimmkran. Er wird genutzt, um schwere Teile auf See zu heben, zum Beispiel beim Aufbau von Offshore-Windenergieanlagen.
„Die Sleipnir ist von der Motorisierung ähnlich wie eine Fähre oder ein Kreuzfahrtschiff, sie hat einen Viertakt-Motor“, berichtet die Wissenschaftlerin. „Das andere Schiff ist ein LNG-Carrier mit Zweitaktmotor. Dort fällt im Vergleich zur Sleipnir weniger Abwärme für die Abscheideanlage an. Das heißt für uns: Die Systeme müssen unterschiedlich ausgelegt werden“, erläutert Zapp.

Herausfordernd: die Integration der schiffsbasierten Kohlenstoffabscheidung in die Schiffstechnik
Dazu kommt, dass das SBCC-System mit der bestehenden Schiffstechnik vernetzt werden muss. So soll Abwärme aus den Schiffsabgasen zum Reinigen des Waschmittels eingesetzt oder Kälte aus dem LNG-Verdampfungsprozess genutzt werden, um das abgetrennte CO2 zu verflüssigen. Dadurch sinken die Betriebskosten erheblich, etwa gegenüber einer stationären CO2-Abscheideanlage an Land. Ziel ist, ein möglichst effizientes Wärmeübertragungssystem mit minimalen Eingriffen in die bestehenden Kraftstoffverteilungs- und Motorabgassysteme zu entwickeln. Hier ist unter anderem die Expertise des Motorenherstellers MAN gefragt.
Weitere offene Fragen: die Hafeninfrastruktur und der CO2-Transport
Neben den technischen Fragestellungen an Bord entwickeln die Forscherinnen und Forscher auch Szenarien, wie das abgeschiedene CO2 in den Häfen entladen, gelagert und zu Speicher- oder Verarbeitungsstätten transportiert werden kann — und zu welchen Kosten. „Fakt ist, dass das abgetrennte Kohlendioxid mit unterschiedlichen Temperaturen und Drücken sowie unterschiedlichen Verunreinigungen in die Häfen kommen wird“, erklärt Petra Zapp. Die Konsequenz: Das CO2 muss nachbehandelt werden. Nur so kann die Qualität sichergestellt werden, die die weiterverarbeitenden Betriebe brauchen. Dies ist ein entscheidender Baustein, um perspektivisch eine sichere Abnahme für das CO2 zu gewährleisten, so Zapp.
Ihr Team vom Forschungszentrum Jülich arbeitet an technischen und ökologischen Fragen rund um die anvisierte 70-prozentige Kohlendioxidreduktion. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die gesamte Nutzungskette im Blick: von der LNG-Lieferung über das Abscheiden bis zum Weiterverwerten. „Mit der CO2-Einsparung werden möglicherweise auch andere Umwelteffekte angestoßen, die mitbedacht werden müssen. Diese können sowohl positiv als auch negativ sein“, erläutert Petra Zapp. Positiv wäre zum Beispiel, wenn bei der CO2-Wäsche nicht nur CO2, sondern auch Schwefeldioxid (SO2) rausgewaschen würde. (it)