
Klimaneutrales Quartier
Esslingen strebt effizientere Elektrolyse an
Auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände im Westen von Esslingen am Neckar entsteht ein klimaneutrales Stadtquartier, das als Blaupause für künftige Quartiersentwicklung dienen kann. Wie das Ganze in der Praxis aussieht, konnten Bürgerinnen und Bürger sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Praxis bei der Einweihung des Quartiers erleben. Erster Programmpunkt war ein Rundgang durch das Klimaquartier.
Auf 100.000 Quadratmetern entstehen seit 2017 über 450 Wohnungen, Büro- und Gewerbeflächen sowie ein Neubau der Hochschule Esslingen. Bereits seit 2018 sind erste Wohnungen auf dem Areal fertig gestellt und werden bewohnt. Im Jahr 2020 ist der zuletzt erstellte Baublock D bezogen worden. Die CO2-Emissionen pro Bewohner für Wohnen und Mobilität liegen unter einer Tonne pro Jahr; ein erstes Projektziel konnte im Rahmen des technischen Monitorings schon bestätigt werden.
Das Besondere am Forschungsvorhaben „Klimaneutrales Stadtquartier – Neue Weststadt Esslingen“ ist das innovative Energiekonzept, bei dem die Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität gekoppelt werden. Das Herzstück der Energieversorgung liegt mitten im Quartier: Eine Elektrolyse-Anlage nutzt erneuerbaren Strom von den Photovoltaikanlagen der Quartiersdächer und aus überregionaler Erzeugung, um grünen Wasserstoff zu erzeugen.
Effizienz der Wasserstoff-Elektrolyse soll von 60% auf über 85% steigen
Ein Höhepunkt für die Besucherinnen und Besucher war eine Fahrt in den Untergrund: In der unterirdischen Energiezentrale besichtigten sie die neue Elektrolyse-Anlage. Im Mai 2021 in Betrieb genommen, sind die Erwartungen an den Wasserstoff-Produzenten schon jetzt hoch: Der Nutzungsgrad, der bei solchen Anlagen üblicherweise bei etwa 60 Prozent liegt, soll auf über 85 Prozent steigen.

Möglich ist dies unter anderem durch die Lage der Anlage: „Wir haben mit diesem Konzept die Elektrolyse in die Stadt hineingeholt“, erklärt der Projektmitarbeiter Tobias Nusser vom Steinbeis-Innovationszentrum energieplus. Die Lage im Quartier hat einen entscheidenden Vorteil: Die Abwärme des Elektrolyseprozesses wird nutzbar für die Wärmeversorgung der benachbarten Gebäude. Zusätzlich sind die Transportwege für die Nutzung des grünen Wasserstoffs verkürzt.
„Die Gebäudetechnik richten wir dazu auf diese Wärmequelle aus, wir nutzen ein Niedertemperatursystem und ersetzten so fossile Brennstoffe wie zum Beispiel Erdgas“, erklärt Nusser. Und das gleich doppelt: Denn während die Abwärme das Quartier selbst heizt, können auch andere Esslinger den grünen Wasserstoff nutzen. Denn dieser wird aktuell zusätzlich ins Gasnetz eingespeist und senkt dort den Anteil fossilen Gases.
Der Elektrolyseur soll am Tag 400 Kilogramm Wasserstoff produzieren. „Unsere Betriebsweise wird sich dann aber auch nach der Verfügbarkeit von Erneuerbaren richten, das ist ein wichtiger Aspekt des Projekts“, erklärt Nusser. Er rechnet mit etwa 4.000 – 5.000 Stunden Laufzeit im Jahr – etwa 50 Prozent der Zeit wird also Wasserstoff produziert. Zwar könnte der Elektrolyseur auch durchgehend Strom aus dem Netz ziehen, doch Teil des Forschungsprojektes ist eben auch, den energiewendedienlichen Bezug von erneuerbarem Netzstrom zu erproben.
Dass auch das Thema öffentlicher Nahverkehr im Esslinger Projekt eine wichtige Rolle spielt, merkten die Teilnehmenden am Ende des Rundgangs: Mit Elektrobussen wurden sie zum letzten Etappenziel, dem Neckarforum, gefahren. Die Hybridfahrzeuge wurden im Rahmen des Projektes angeschafft. Die elektrisch gefahrenen Strecken konnten somit vervierfacht werden.
Kein Klimaschutz ohne Kommunen
Im Neckarforum fand der zweite Teil der Einweihungsveranstaltung mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Staatssekretär Andreas Feicht vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und Ministerialdirigentin Oda Keppler vom Bundeministerium für Bildung und Forschung, zeigten sich unter anderem von den beiden Elektrolyseureinheiten beeindruckt: Die hier stattfindende Produktion von grünem Wasserstoff in einem urbanen Umfeld ist in Deutschland bislang einmalig. Staatssekretär Feicht betonte in seiner Rede die Bedeutung der Kommunen für die Erreichung der Klimaziele und bedankte sich bei den Projektverantwortlichen für ihr Engagement.

„Wer die Entwicklung der Neuen Weststadt während der vergangenen Jahre verfolgt hat, weiß, welches Engagement auch vor dem Hintergrund des kommunalen Klimaschutzes in diesem Projekt steckt“, äußerte sich Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger während der Veranstaltung. „Wir sind glücklich und stolz, dass es uns gelungen ist, ein derart innovatives Energiekonzept auch städtebaulich in dieses wichtige Entwicklungsprojekt der Stadt Esslingen zu integrieren.“ Projektleiter Professor Manfred Norbert Fisch vom Steinbeis Innovationszentrum energieplus ergänzt: „Der Weg zur Klimaneutralität kann nur über solare Wasserstoff-Wirtschaft führen. Im Klimaquartier Neue Weststadt können wir zeigen, dass sich diese Technologie auch auf kommunaler Ebene erfolgreich in Bauprojekte eingliedern lässt und so zur notwendigen Energiewende beitragen kann.“
Um in Esslingen grünen Wasserstoff produzieren zu können, haben der Stromanbieter Polarstern, Professor Manfred Norbert Fisch und die Stadtwerke Esslingen eigens die Firma Green Hydrogen Esslingen GmbH gegründet, die nun - gefördert vom BMWi – die Power-to-Gas-Lösung im Quartier umsetzt.
Förderinitiative Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt
Das Verbundvorhaben „EnStadt-Es_West_P2G2P: Klimaneutrales Stadtquartier Neue Weststadt Esslingen“ ist eines von sechs Leuchtturmprojekten der in 2016 gestarteten Förderinitiative Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das Projektkonsortium besteht aus 10 Verbundpartnern. Die Gesamtkoordination und wissenschaftliche Leitung erfolgt durch das Steinbeis Innovationszentrum energieplus in Stuttgart. (bs/pj)