Interview mit dem Leiter des Projektes ENOB:DATANWG
„Prüfen, ob der Klimaschutz im Gebäudesektor auf Kurs ist“
Wer bislang statistische Daten zu Alter oder Zustand von Produktionsgebäuden, Hotels oder Verwaltungsgebäuden finden wollte, wunderte sich: Zu den so genannten Nichtwohngebäuden gibt es keine amtliche Statistik, die diesen Teil des Gebäudebestands vollständig beschreibt. Eine neue Forschungsdatenbank kann dies jetzt ändern. Verbundkoordinator Michael Hörner vom Institut Wohnen und Umwelt in Darmstadt (IWU) beschreibt deren Nutzen und den teils mühsamen Weg bis zum fertigen Produkt.
Interview
Herr Hörner, in Ihrem Projekt wurde der Nichtwohngebäudebestand in Deutschland repräsentativ erfasst. Dies klingt nach riesigen Datenmengen und erheblichem Analyseaufwand. Was hat Sie motiviert?
Hörner: Es gibt heute keine hinreichend validen Daten über die Nichtwohngebäude in Deutschland, zum Beispiel über deren Anzahl, Größe, Baualter oder Zustand. Es fehlt eine amtliche Statistik zu diesen sogenannten Strukturdaten. Angesichts der mutmaßlich großen volkswirtschaftlichen Bedeutung dieses Sektors, ist das erstaunlich. Die Datenbank ENOB:dataNWG wird zum ersten Mal statistisch valide Angaben machen können.
Für die Forschung am IWU, insbesondere im Forschungsfeld „Strategische Entwicklung des Gebäudebestands“, ist es zudem von großem Interesse, den Fortschritt der energetischen Modernisierung von Gebäudehüllen und Anlagentechnik genauer zu kennen. Zudem möchten wir die Dynamik, mit der Modernisierungsprozesse im Gebäudebestand ablaufen, einschätzen können. Für den Wohngebäudebestand haben wir dies bereits ermittelt, für die Nichtwohngebäude werden wir das in ENOB:dataNWG erforschen.
„Der Nichtwohngebäudesektor ist sehr heterogen“
Sowohl hinsichtlich der Branchen, der Nutzung als auch der Eigentümerstrukturen ist der Nichtwohngebäudesektor allerdings sehr heterogen. Alle diese Merkmale erheben wir in ENOB:dataNWG. Es wird von besonderem Interesse sein, die Unterschiede in diesen Teilsektoren herauszuarbeiten und Rückschlüsse auf die mutmaßlich zu Grunde liegenden Entscheidungsprozesse bei Modernisierung zu ziehen.
Die Daten der Erhebung sollen in eine Datenbank einfließen. Diese soll ein regelmäßiges Monitoring des Sektors Nichtwohngebäude ermöglichen. Wer profitiert davon? Welchen Nutzen bringt die Datenbank?
Hörner: Interessierte Kreise aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik können auf die Ergebnisse der Erhebungen zugreifen und tabellarische Auswertungen erstellen. Die Daten werden für die Energie- und Gebäudeforschung, für die Einschätzung von Marktchancen in der Bau- und Immobilienwirtschaft beziehungsweise im Maschinen- und Anlagenbau und bei Entscheidungen in Wirtschafts-, Klimaschutz- und Energiepolitik wichtige Beiträge leisten.
Natürlich wird sich der Gebäudebestand weiterentwickeln, Gebäude werden gebaut, modernisiert oder abgerissen. Will man zum Beispiel wissen, ob der Gebäudesektor beim Klimaschutz auf Kurs liegt, müssen die Daten zum Bestand regelmäßig aktualisiert werden. Wie man das kostengünstig und effektiv bewerkstelligen kann, das haben wir mit ENOB:dataNWG gezeigt.
Bei der deutschlandweiten Erhebung kommen erstmals Methoden der Geoinformatik zum Einsatz. Was ist daran besonders?
Hörner: Wir führen eine repräsentative Stichprobenerhebung durch, die im Prinzip genauso funktioniert wie die „Sonntagsfrage“ in der Politik. Allerdings gibt es kein Register von Nichtwohngebäuden in Deutschland, aus dem man einfach eine Stichprobe ziehen und die Adressen der Eigentümer ermitteln könnte. Es musste also eine andere Auswahlgrundlage für die Stichprobenziehung gefunden werden. Hier kommen die Geobasisdaten ins Spiel. Diese amtlichen Daten beruhen auf den Katasterdaten aller Kommunen in Deutschland. Jedes Gebäude in Deutschland ist dort mit seinem Grundriss erfasst und in den Geodatenprodukten inzwischen auch digital verfügbar.
„Dafür sind Geobasisdaten eigentlich gar nicht gemacht.“
Das geoinformatorische Know-how unserer Projektpartner am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden machte es uns möglich, die Geobasisdaten als Auswahlgrundlage so aufzubereiten, dass wir am IWU eine repräsentative Stichprobe von 100.000 sogenannten Hausumringen, also der Geometrie eines Gebäudeumrisses, ziehen konnten. Dafür sind die Geobasisdaten eigentlich gar nicht gemacht. Dass dies möglich war, ist dem exzellenten Sachverstand meines Kollegen Dr. Holger Cischinsky zu verdanken.
Wichtige Angaben, etwa zum Eigentümer, sind allerdings in den Geodaten nicht enthalten und ob es sich tatsächlich bei einem Hausumring um den Grundriss eines Nichtwohngebäudes handelt, ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Außerdem sind in vielen Fällen Hausumringe und Gebäude nicht identisch, viele Gebäude bestehen aus mehreren Hausumringen, manche Hausumringe überdecken mehrere Gebäude. Deshalb wurde ergänzend das Screening konzipiert, in dem solche Informationen vor Ort ermittelt werden. In einem außerordentlichen Kraftakt haben unsere Projektpartner an der Bergischen Universität Wuppertal am Lehrstuhl von Prof. Guido Spars alle 100.000 Objekt in der Stichprobe vor Ort in Augenschein genommen.
Welche Vorteile bietet die Einbindung der Geoinformatik?
Hörner: Die Geobasisdaten stellen für uns die einzige bekannte, annähernd vollständige Auswahlgrundlage dar, um eine repräsentative Nichtwohngebäude-Stichprobe zu ziehen. Denn dafür muss unter anderem sichergestellt sein, dass jedes Nichtwohngebäude in Deutschland auch die Chance hat, in die Stichprobe aufgenommen zu werden. Das ist mit den Geobasisdaten gewährleistet.
Als Alternative zur Gewinnung der gewünschten Informationen käme allenfalls eine Vollerhebung aller Nichtwohngebäude in Deutschland infrage. Im Vergleich dazu ist der von uns gewählte Weg einer Stichprobenerhebung allerdings erheblich kostengünstiger.
Mit welchen Zahlen lässt sich das Projekt zusammenfassen?
Hörner: Ein Jahr Konzeption, mehrere Monate Pilotphase, in denen das Erhebungsdesign getestet und entwickelt wurde. Herausgekommen ist unter anderem ein Fragebogen, zu dessen Beantwortung die Befragten im Mittel etwa 25 Minuten brauchten. Darauf folgten drei aufeinander aufbauende Feldphasen: Zuerst wurde eine Zufallsstichprobe von 100.000 Hausumringen gezogen. Diese wurden im Screening vor Ort aufgesucht, um festzustellen, ob dort wirklich ein Nichtwohngebäude steht und um Hinweise auf Ansprechpartner zu sammeln. In der zweiten Phase führte ein Marktforschungsinstitut über 6.000 Interviews mit Gebäudeeigentümern zu Strukturdaten sowie dem Stand und der Dynamik der energetischen Beschaffenheit durch. In der Tiefenerhebung besuchten zertifizierte Energieberater einige hundert dieser Gebäude und ermittelten u.a. detaillierte Daten zum gemessenen Energieverbrauch. Bis zur Präsentation der Hauptergebnisse werden fast fünfeinhalb Jahre vergangen sein.
Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.