Die Gebäudeentwürfe der Wettbewerbsteilnehmenden sollen im Mirker Stadtquartier umgesetzt werden. Die damit verbundenen Herausforderungen beschreibt Professor Karsten Voss im Interview. © PTJ
Die Gebäudeentwürfe der Wettbewerbsteilnehmenden sollen im Mirker Stadtquartier umgesetzt werden. Die damit verbundenen Herausforderungen beschreibt Professor Karsten Voss im Interview.

Professor Karsten Voss zum internationalen Gebäude-Energie-Wettbewerb
"Weiterbauen statt neu bauen"

02.07.2019 | Aktualisiert am: 15.11.2024

Der internationale Wettbewerb Solar Decathlon Europe 2021 (SDE21) in Wuppertal bietet Studierenden die Chance, ihre Entwürfe zu innovativen, energieeffizienten und solaren Gebäuden als reale Prototypen zu bauen und zu betreiben. Warum dem urbanen Aspekt bei diesem Wettbewerb eine so zentrale Rolle zukommt und welche Chancen dieser bietet, erklärt Professor Karsten Voss von der Bergischen Universität Wuppertal.

Herr Professor Voss, der Stundenplan von Studierenden und Lehrenden ist gut gefüllt. Warum sollten sie sich trotzdem für den SDE21 bewerben?

Voss: Ich kann da insbesondere aus eigener Erfahrung sprechen, weil die Bergische Universität Wuppertal 2010 selber an dem Wettbewerb – damals in Madrid - teilgenommen hat. Eines ist richtig: Die Teilnahme bedeutet viel Arbeit. Aber der Solar Decathlon bewirkt auch viel Positives: Für Professorinnen und Professoren – speziell aus der Architektur – kann es eine Motivation sein, Profil zu zeigen und die angewandte Forschung an der eigenen Fakultät zu stärken. Außerdem wirkt sich der Solar Decathlon auch über den Wettbewerb hinaus positiv auf die Hochschule aus. Zum einen erzeugt der Wettbewerb einen Impact auf die interdisziplinäre und fakultätsübergreifende Zusammenarbeit. Das können die Fakultäten Architektur und Wirtschaftswissenschaften sein, wenn es um Marktpotenziale geht, oder auch die Fakultäten Architektur und Elektrotechnik, die gemeinsam an der Gebäude-Netz-Interaktion arbeiten, um nur zwei Bespiele aus eigener Erfahrung zu nennen. Zum anderen können die entstandenen Prototypen nachfolgend zu weiteren Forschungen wie beispielsweise durch Messungen oder Nutzerbefragungen genutzt werden. In jedem Fall ist der SDE21 ein gutes Beispiel dafür, wie angewandte Forschung umgesetzt werden kann. Wenn man es richtig angeht, können sehr viele positive Impulse entstehen.

Die europäische Variante des Solar Decathlon hat seit 2010 bereits in Spanien, Frankreich und Ungarn stattgefunden. Was wird 2021 das Besondere am deutschen Austragungsort Wuppertal sein?

Voss: Zunächst einmal gab es ja noch nie einen SDE in Deutschland. Alleine deswegen war eine Bewerbung naheliegend. Das Entscheidende am SDE21 ist aber der Schwerpunkt auf solares Bauen im urbanen Bestand, denn genau das spiegelt die Kernfragen der Energiewende und des Klimawandels bezogen auf den Gebäudebereich wider: Es geht nicht um hippe Tiny Houses, sondern um die relevanten Themen für bestehende Gebäude und Quartiere. Das Profil des SDE21 heißt also nicht nur „energieeffizientes, solares Bauen“, sondern es heißt ganz definitiv „energieeffizientes, solares Bauen im urbanen Bestand“. Auf den Wettbewerb bezogen bedeutet dieses Profil, dass es um mehr geht als um einzelne Häuser oder um eine einzelne Baulücke. Vielmehr werden die Situationen komplexer: ein Haus mit Umgebung, ein weiteres Gebäude, an das angedockt werden kann, oder ein Nachbargrundstück, das überbaut werden darf. Wir stellen die Grundlagen für diese Situationen gerade zusammen. Die ersten Unterlagen werden im Juli verfügbar sein. Alternativ können die Teilnehmer-Teams auch Lösungen für vergleichbare Situationen aus ihrer Heimat vorstellen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Situationen urban sind und das Weiterbauen im Bestand adressieren.

Eine international besetzte Jury bewertet die Entwürfe der Bewerber in verschiedenen Disziplinen. Zwei davon lauten „urbane Mobilität“ und „Kommunikation und Bildung“. Was ist damit gemeint?

Voss: Mobilität war beim Solar Decathlon bisher oft nebensächlich. Manchmal stand ein Elektroauto neben dem Haus, aber der Mobilitätsaspekt war nicht wirklich in das Konzept integriert. Im Wesentlichen verbindet eine zukunftsfähige urbane Mobilität den öffentlichen Nahverkehr mit der Nutzung von teilweise elektrisch unterstützten Kleinfahrzeugen. Für uns fängt urbane Mobilität schon beim Gebäudekonzept und seinem Quartierskontext an. Wir wollen einerseits Konzepte von den Teams sehen, in denen sich öffentlicher Nahverkehr und Individualverkehr überzeugend ergänzen. Andererseits wollen wir vor Ort auch einen Wettbewerb organisieren, der über die Bewertung von Konzepten durch die Jury hinausgeht: Die Teams sollen beispielsweise Einkäufe und weitere Aufgaben mit elektrisch unterstützten Kleinfahrzeugen erledigen. Deren Energieverbrauch geht in die Bewertung der Energieperformance ein. Außerdem ist geplant, dass Teams die Häuser von Mitbewerbern zum Beispiel bezüglich Nutzerfreundlichkeit bewerten. Möglich wäre auch, die Bewohner aus dem Quartier in Wuppertal einzuladen und die Häuser bewerten zu lassen. Das sind Überlegungen, die im Bereich „Kommunikation und Bildung“ relevant sind. Die Menschen sollen bei der Thematik Klimawandel nicht nur mit Stürmen und Sintfluten konfrontiert werden, sondern auch Entwürfe und Lösungen für eine lebenswerte Zukunft präsentiert bekommen.

Was für eine Bedeutung haben zivilgesellschaftliche Akteure beim SDE21 in Wuppertal?

Voss: Im Team Wuppertal, das den SDE21 insgesamt organisiert, ist auch der Verein Utopiastadt als Eigentümer der zur Verfügung gestellten Stadtflächen integriert und an der Ausgestaltung des Projektes beteiligt. Der Verein setzt sich mit „utopischen“ Ideen für das Stadtleben von morgen auseinander und organisiert zum Beispiel Bürger-Workshops. In der Beteiligung von Utopiastadt am SDE21 zeigt sich, dass die Ideen und Lösungen, die aus dem Wettbewerb heraus entstehen, auch von der Zivilgesellschaft gewollt sind. In Wuppertal haben wir außerdem die einmalige Möglichkeit, dass 8 der insgesamt 18 Häuser aus dem Wettbewerb langfristig stehen bleiben dürfen. Wir planen damit, das sogenannte Living-Lab-NRW zu bilden. An den Gebäuden soll zusammen mit benachbarten Hochschulen und den Teams aus dem Wettbewerb weitergeforscht werden. Utopiastadt will die Häuser als Hostel betreiben. Es bestünde dann die Möglichkeit, sich dort einfach einmal einzumieten. Das ist etwas ganz Besonderes.