
KI in der Gebäudetechnik
„Den Entwicklungsaufwand hätten wir uns nicht leisten können“
Dr. Matthias Wenthe Mission Transfer, Mission Wärmewende 2045
Mit wissenschaftlichen Partnern hat Dr. Matthias Wenthes Unternehmen eine Cloudlösung für die Vor-Ort-Visualisierung von Gebäudetechnik entwickelt. Wie aus dem BMWK-geförderten Projekt energyTWIN eine marktverfügbare App entstanden ist, beschreibt er im Interview.
Herr Wenthe, Baustellen kann man mittlerweile auch digital planen und begehen. Wo sehen Sie hier die Vorteile?
Wenthe: Die digitale Planung und Begehung von Baustellen ermöglichen eine effizientere Koordination aller Beteiligten, verbessern den Informationsaustausch und reduzieren Fehler sowie Kosten. Durch die lagerichtige Darstellung von BIM-Daten mittels Augmented Reality können Handwerker bereits in frühen Bauphasen virtuelle Modelle zukünftiger Installationen sehen. So können Kollisionen mit anderen Gewerken vermieden werden. Diese präzise Visualisierung verbessert die Koordination auf der Baustelle, reduziert Fehler und steigert die Effizienz im Bauprozess.
Was ist mit älteren Gebäuden: Profitieren deren Besitzer auch von der Digitalisierung?
Hier liegt der Fokus auf der installierten technischen Gebäudeausrüstung. Ein digitaler Zwilling der Anlage auf dem Tablet spiegelt vor Ort den aktuellen Betrieb quasi live wider: Wie ist die aktuelle Vorlauftemperatur? Funktionieren alle Pumpen korrekt? Fehlfunktionen werden frühzeitig erkannt und können behoben werden. Durch die Integration von Künstlicher Intelligenz in das 3D Modell wird zudem die Wartung und Reparatur erleichtert. Das macht den Betrieb der Anlagen effizienter und spart Energie.
Wie wird reale Anlagentechnik als digitales 3D-Modell abgebildet?
Im Projekt haben wir 3D-Laserscanner benutzt, um detaillierte Punktwolken der TGA zu erstellen. Diese Punktwolken dienen zusammen mit dem Planungsmodell als Grundlage für einen digitalen Zwilling des gesamten Gebäudes. Der digitale Zwilling integriert topologische Zusammenhänge. Dadurch ist zum Beispiel erkennbar, welches Rohr zu welchem Kreislauf gehört. Außerdem speichert der Zwilling Echtzeit-Sensordaten kontinuierlich in der Cloud. Mit entsprechenden Anwendungen lässt sich dann der aktuelle Zustand der TGA visualisieren.
Dabei entstehen große Datenmengen. Was passiert damit?
Genau das war unser Part im BMWK-geförderten Forschungsprojekt energyTWIN. Wir haben einen Cloudserver entwickelt, in dem alle projektbezogenen Daten zusammenfließen. Diese liegen zum Teil direkt auf dem Server, zum Teil sind sie auch über Schnittstellen der beteiligten Unternehmen zugänglich und werden aggregiert. Wichtig dabei: Es gibt einen Server, auf dem zentral alle relevanten Daten für alle Beteiligten verfügbar sind.
09.12.2020 Mission Energiesystem 2045, Mission Stromwende 2045, Mission Wärmewende 2045 News
energyTWIN: Digitaler Energie-Zwilling für Gebäude
Das Forschungsprojekt energyTWIN will mit virtuellen Abbildern den Gebäudebetrieb effizienter machen.
mehrNach Abschluss des Projektes fand die Entwicklung der App statt. Was war hierfür die Voraussetzung?
Für unsere weitere Entwicklung war es grundlegend, dass alle vor Ort erfassten Objekte in der korrekten Größe und richtig positioniert als 3D-Modelle in der Web- und App-Ansicht darstellbar sind. Einzelne Systeme wie Lüftungs- oder Heizungstechnik können separiert betrachtet werden. Als Ergebnis liegt jetzt die App AR-Explorer Bau vor. Über diese können virtuelle Objekte in der Realität eingeblendet werden. Interessant ist dies etwa für Architekten, Planungsbüros oder Handwerksbetriebe.
Wie lief die Zusammenarbeit mit den Forschenden?
Der Austausch und die enge Zusammenarbeit mit den Projektpartnern war auf jeden Fall hilfreich. Jedes Team hat seine Kompetenzen eingebracht. Die Fachleute der RWTH Aachen haben das georeferenzierte As-built-Modell erstellt und die topologischen Zusammenhänge der verschiedenen Anlagenkomponenten korrekt abgebildet. Die aedifion GmbH hat die Sensorik geliefert und das Marketingunternehmen TEMA hat die 3D-Objekte in die Ansicht einer XR-Brille integriert.
Sie haben ein Unternehmen mit 12 Mitarbeitenden. Wie haben Sie von der Projektförderung profitiert?
In einer Agentur gehen Eigenentwicklungen oftmals im Tagesgeschäft unter, denn Kundenaufträge haben meist Vorrang. Nebenbei eine komplexe neue Software zu entwickeln, ist für eine Firma in unserer Größenordnung kaum möglich. Die Fragestellung der korrekten Positionierung von Augmented Reality-Inhalten im dreidimensionalen Raum ist nicht trivial.
„Ohne Förderung wäre es bei einer guten Idee geblieben.“Dr. Matthias Wenthe (Internet Marketing Services GmbH)
Hierfür sind locker zweieinhalb Jahre Entwicklungsaufwand erforderlich. Diesen hätten wir uns nicht leisten können. Ohne die Förderung wäre es bei einer guten Idee geblieben. Durch die Verbindung der akademischen Welt mit den Partnerunternehmen konnten wir außerdem Branchen-Know-How in der Bauindustrie erwerben und Kontakte knüpfen. Dadurch war es uns möglich, das allgemeine Thema „Augmented Reality im Raum“ an die spezifischen Bedürfnisse im Baubereich anzupassen.
Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, Forschungszentrum Jülich GmbH.