Kaltes Nahwärmenetz versorgt Wohnsiedlung
„Durch die Kombination der Wärmequellen kriegen wir es hin“
Volker Stockinger Mission Wärmewende 2045
Erdwärme sowie Abwärme aus dem Abwasserkanal versorgen zukünftig ein Wohngebiet auf einem ehemaligen Militärgelände in Bamberg. Wie dies funktioniert und wie regenerative Energie auch in Innenstädten einsetzbar ist, erzählt Professor Volker Stockinger im Interview.
Erdwärmekollektoren, Erdwärmesonden sowie Abwasser-Wärmetauscher sind keine neuen Technologien. Was macht deren Einsatz in Bamberg trotzdem besonders?
Die Art und Weise sowie die Größenordnung in der wir diese Technologien kombinieren, ist neu. Nehmen wir das Beispiel Geothermie: Deren Einsatz wurde bislang eher für das Einzelgebäude geplant. Wir haben deren Nutzung für ein ganzes Quartier konzipiert, dabei verschiedene Wärmequellen miteinander kombiniert und an ein kaltes Nahwärmenetz angeschlossen. Diese Kombination ist in der breiten Umsetzung noch eher ungewöhnlich.
Warum würde man dies standardmäßig nicht so umsetzen?
Erneuerbare Energien lieben freie Fläche – und diese ist nicht überall vorhanden. Ein großflächiges Erdwärme-Kollektorfeld lässt sich zum Beispiel sehr gut unter einer Ackerfläche installieren, Erdwärme-Sonden auch in Freiflächen in der Stadt. Beides ist in dicht besiedelten Gebieten kaum verfügbar.
Wie haben Sie dies auf dem Lagarde Campus gelöst?
In Bamberg wurde jede Freifläche mit Kollektoren und einem Erdwärme-Sondenfeld genutzt. Um zur Spitzenlastabdeckung zusätzliche Potentiale zu erschließen, sind wir außerdem mit Kollektoren unter die Gebäude gegangen. Sonden unter den Gebäuden, was technisch auch möglich gewesen wäre, konnten wegen der etwas längeren Einbringzeit nicht realisiert werden. Die Kombination der geothermischen Wärmequellen zwischen und unter den Gebäuden mit dem Abwasser-Wärmetauscher als direkte Wärme- aber auch Regenerations-Quelle für die Geothermie, stellt den Großteil der Wärmeversorgung für die Bewohnerinnen und Bewohner bereit. Durch die Kombination der verschiedenen Quellen kriegen wir es also hin.
Haben Sie einen Vorschlag, wie man regenerative Energie vermehrt in Innenstädten nutzen könnte?
Möglich sind, wie in Bamberg, Abwasser-Wärmetauscher, welche die bereits vorhandene Abwärme aus Abwasserkanälen für die Wärmeversorgung nutzbar machen. Das geht natürlich nicht mit jedem einzelnen Gebäude, sondern sollte in der Versorgung von Quartieren zum Einsatz kommen. Der nächste Schritt könnte sein, dass man das Abwasser sozusagen unterkühlt und somit das innerstädtische Potential nochmal erhöht. Das heißt, man entzieht ihm so viel Wärmeenergie, dass es kühler ist als das umgebende Erdreich. Das Abwassernetz funktioniert dann wie ein Erdkollektor und kann auf seinem Weg zum Klärwerk wieder Wärme aus dem Erdreich gewinnen.
Welche Herausforderung gibt es hierbei zum Beispiel?
Natürlich muss man dabei das ganze System im Auge haben und zwingend dafür sorgen, dass den Klärwerken keine Nachteile entstehen, da die Mikroorganismen in den Klärbecken bestimmte Abwasser-Temperaturen benötigen. Dem geklärten Abwasser nach dem Klärwerk könnte man wiederum Wärme entziehen, welche eine Wärmepumpe als Wärmequelle nutzt und auf ein höheres Temperaturniveau hebt. Mit der so generierten thermischen Energie werden dann wiederum die Becken geheizt, in denen sich die Mikroorganismen befinden. Auf diese Weise kompensiert man die Energiemenge, die man aus den Kanälen in der Stadt entnommen hat. Denkbar sind für diesen Prozess auch andere erneuerbare Wärmequellen sowie Abwärme aus Flüssen, Rechenzentren oder Industriebetrieben.
Im Forschungsvorhaben MultiSource in Bamberg untersuchen Sie das Zusammenspiel der unterschiedlichen regenerativen Energiequellen. Worum geht es dabei?
Wir möchten herausfinden, in welcher Situation welche der vier Wärmequellen oder deren Kombination am besten zum Einsatz kommen. Manchmal reicht zum Beispiel eine Wärmequelle, um die komplette Wärmeversorgung sicherzustellen. Über unser Monitoring prüfen wir dann, ob zu diesem Zeitpunkt die Kollektoren, die Sonden oder das Abwasser die meiste Wärmeenergie liefern kann. Beim Kühlen ist es genau umgekehrt: Die Wärme wird an die Sonden oder Kollektoren abgegeben, die zum gewünschten Zeitpunkt am kühlsten sind. Unser übergreifendes Ziel ist es, ein Regelungskonzept zu entwickeln, das automatisch die energieeffizienteste Lösung umsetzt. Langfristig soll sozusagen die menschliche Intelligenz in künstliche Intelligenz übertragen werden.
Wer profitiert von den Erkenntnissen?
Alle Unternehmen, die Ähnliches umsetzen möchten. Dies können klassisch Stadtwerke aber auch andere Energieversorger und Contractoren sein.
Wie machen Sie Ihre Erkenntnisse auch für andere Stadtwerke und Kommunen nutzbar?
Da das Projekt MultiSource erst in 2026 abgeschlossen sein wird und wir aktuell noch mit dem Aufbau der Messtechnik beschäftigt sind, liegen noch keine finalen Ergebnisse vor. Trotzdem informieren wir auf Veranstaltungen, im Web oder in Publikationen über das Vorhaben. Konkret entwickeln wir gerade in MultiSource die Simulationssoftware Delphin der Technischen Universität Dresden weiter. Diese kann bereits sehr gut Kollektorsysteme auslegen. Das Zusammenspiel der verschiedenen Wärmequellen und die Kopplung an ein kaltes Nahwärmenetz bringen unsere Kollegen aus Dresden ihr gerade bei. Das Ergebnis wird dann Open Source verfügbar sein.
Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.