INTERVIEW
„Der Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße“
Carsten Beier Mission Energiesystem 2045, Mission Transfer
Ob Wohn- oder Nichtwohngebäude, Neubau oder Bestand: Die Gebäude in einem Quartier sind häufig unterschiedlich strukturiert. Gemeinsam haben sie die energetische Infrastruktur. Damit sind sie Angelpunkte für die Umsetzung der Energiewende. Wie Forschung hier unterstützen kann, erklärt Carsten Beier.
Welche Herausforderungen für die Umsetzung der Energiewende in Quartieren gehen Sie mit Ihrer Forschung an?
Ein zentraler Punkt ist die Wärmeversorgung. Hier geht es darum, klimafreundliche Wärmequellen für Städte und Kommunen nutzbar zu machen und die Wärmeenergie in die Quartiere zu integrieren. Wir arbeiten an Lösungen, mit denen sich die Wärme, die bereits vor Ort ist, besser nutzen lässt. Ein großes Potenzial bieten hier die Abwärme – etwa von Industrieunternehmen, aber auch Geothermie oder Solarthermie.
Hinzu kommt das Thema Stromnetze. Wir sorgen mit flexiblen Quartierslösungen dafür, dass die vermehrte Integration von Photovoltaik, Wärmepumpen und Elektromobilität nicht zu Problemen auf der Verteilnetzebene führt. Das Stromnetz muss weniger stark ausgebaut werden, wenn die Energieversorgung an den zentralen Punkten intelligent und nachhaltig aufgebaut, vernetzt und integriert wird. Hier geht es auch darum, die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität miteinander zu verknüpfen.
Sie haben eine Auswertung aktuell laufender oder kürzlich abgeschlossener Forschungsprojekte in Quartieren durchgeführt. Was beschäftigt die angewandte Energieforschung hier aktuell?
Ein sehr wichtiges Forschungsfeld sind die Wärmenetze. Außerdem gewinnt Energiemanagement immer mehr an Bedeutung. Hier geht es darum, dass die Strom- und Wärmeversorgung digital gesteuert wird, sodass sie möglichst energieeffizient funktioniert. Rund 38 Prozent der Projektpartner, die an der Befragung teilgenommen haben, gaben an, dass ihre Projekte sich mit Bestandsquartieren und –gebäuden befassen, etwa 23 Prozent finden laut deren Angaben in Neubauquartieren statt. Bei den untersuchten Erzeugungsanlagen dominieren Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen. Wärmespeicher sind häufiger Forschungsinhalt als Stromspeicher.
Im ländlichen Raum gibt es bislang vergleichsweise wenige Forschungsvorhaben: Sehen Sie hier noch Potenzial?
Zunächst zeigen unsere Auswertungen, dass der ländliche Raum seltener Forschungsgegenstand ist. Das kann an einer im Vergleich zur Stadt anderen Struktur im ländlichen Raum liegen: Es gibt mehr Einfamilienhäuser und mehr private Eigentümer. Andererseits bietet der ländliche Raum viele Möglichkeiten, da sehr große Potenziale für die erneuerbare Stromerzeugung einem geringen Energiebedarf gegenüberstehen. Wenn man beides miteinander verbindet, können integrale Lösungen entstehen, die einen großen Gewinn für ländliche Regionen und die Bürger vor Ort bedeuten können.
Welche Tendenzen sehen Sie für die Zukunft? Welche Themen werden wichtiger?
Ich denke, für Stadtwerke und Kommunen sind Bestandsquartiere ein Kernelement in der Wärmewende. Wenn wir hier über Projekte vermehrt in den Kontakt mit Praxispartnern treten, profitieren alle Seiten davon. Neu hinzu kommt das Thema Resilienz. Dabei geht es darum, unser Energiesystem robust für alle Eventualitäten zu gestalten. Dies betrifft sowohl die technische als auch die wirtschaftliche Ebene.
Kommunen und Stadtwerke sind wichtige Akteure bei der Umsetzung der Energiewende. Wie können Sie diese unterstützen?
Durch unsere Umfrage sowie direkte Gespräche mit Stadtwerken und Kommunen haben wir herausgefunden, dass sie neben Personalmangel auch einen Know-how-Mangel haben – und deshalb sehr dankbar für die Unterstützung aus der Wissenschaft sind. Aktuell beobachten wir dies zum Beispiel bei der kommunalen Wärmeplanung. Die angewandte Energieforschung hilft dabei, geeignete Lösungen vor Ort zu identifizieren und zu testen. In einem nächsten Schritt können wir mit Modellen prognostizieren, wie sich diese Lösungen langfristig wirtschaftlich und ökologisch auswirken.
Da es sich meist um große Investitionen in die Energie-Infrastruktur handelt, die sich auf die nächsten 20 Jahre oder später beziehen, kann dies für Stadtwerke und Kommunen eine große Hilfe sein. Allerdings ist natürlich eine gewisse Kompetenz erforderlich, um solche Modelle bedienen zu können. In diesem Zusammenhang kam der Wunsch der Stadtwerke auf, lokale Kompetenzzentren einzurichten. Hier könnten Praktiker, Kommunen, Stadtwerke und Forschung im direkten Austausch und nah an der Praxis zusammenarbeiten.
Wer profitiert davon?
Zum einen natürlich die Akteure vor Ort. Wir können sie mit Wissen unterstützen und bis zu einem gewissen Grad den Personalmangel kompensieren. Allerdings ist der Wissenstransfer keine Einbahnstraße: Wenn die Praktiker uns signalisieren, dass von uns entwickelte Lösungen nicht umsetzbar sind, können wir diese optimieren und praxisnäher gestalten. Außerdem lernen wir durch den Austausch, welche konkreten Herausforderungen es gibt – und können passgenaue Lösungen dafür entwickeln.
Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.