Künstliche Intelligenz in der Abfallwirtschaft
„Unsere speziell entwickelte Software kann diesen komplexen Prozess optimal führen.“
Dorothee Sänger Mission Energiesystem 2045
Dorothee Sänger und ihr Team haben im Forschungsprojekt vKBP ein automatisiertes Bunkermanagement entwickelt, das den Pressvorgang in einer Abfallanlage optimiert und so die Energieeffizienz steigert. Im Interview spricht sie darüber, wie die Technologie mittlerweile den Weg in die Anwendung gefunden hat, welche Aspekte beim Praxistransfer zu beachten sind und wie das Forschungsteam als nächstes die Abfallsortierung optimieren will.
Frau Sänger, was ist ein automatisiertes Bunkermanagement?
In einer Abfall-Sortieranlage werden die angelieferten Verpackungs-Materialien wie etwa Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff, PET-Flaschen, Papier, TETRA-Packs oder Aluminium separiert und in sogenannten Bunkern gesammelt. Im Durchschnitt hat eine Anlage ungefähr zehn bis 20 von diesen Bunkern. Je nach Material füllen sich diese unterschiedlich schnell: Folie hat eine geringere Dichte und so kann der Bunker mit Folie fünfmal pro Stunde entleert werden, der mit Aluminium oft nur einmal pro Tag. Ist ein Bunker voll, wird er vom Pressenbediener manuell abgezogen und über ein Zuführband in die Presse gegeben. Im Forschungsprojekt haben wir ein automatisiertes Bunkermanagement entwickelt, das den Abzug eines Bunkers über Füllstandsmessungen zum richtigen Zeitpunkt bestimmt. Das System zieht die einzelnen Bunker erst dann an, wenn sie ein ganzzahliges Volumen für einen Ballen enthalten.
Auf welcher Basis funktioniert dieses automatisierte Bunkermanagement?
An den Bunkern sind Sensoren installiert, die im laufenden Betrieb genau über den Füllstand und die Befüllgeschwindigkeit informieren. Das System kann so bestimmen, welcher Bunker wann gezogen und an welche Presse das Material geschickt wird. Am Pressenzuführband wird der Volumenstrom gemessen, der in die Presse geführt wird. Für jedes Material erfolgt kontinuierlich ein automatischer Abgleich zwischen erzeugter Ballenlänge und dem Soll-Wert des Bunkervolumens. So wird vermieden, dass zu kleine oder zu große Ballen gepresst werden. Das automatisierte Bunkermanagement ist so in der Lage, sich selbst zu optimieren.
Der Pressenbediener ist als Mensch nicht in der Lage, gleichzeitig die Füllgeschwindigkeiten der einzelnen Bunker im Blick zu behalten, die Bunker erst bei optimalem Füllstand für mehrere ganzzahlige Ballen abzuziehen und den Status der jeweiligen Pressaktivität der Ballenpressen zu berücksichtigen. Erst unsere speziell entwickelte Software — die über ein mathematisches Modell im Millisekunden-Takt eingehende Daten und Messwerte verarbeitet — kann diesen komplexen Prozess optimal führen.
Was haben Sie im Forschungsprojekt vKBP erreicht?
Der erste Ansatz des Projektes war, die Kanalballenpresse in ihrem Energieverbrauch zu optimieren. Das haben wir geschafft. Das ist unabhängig vom Bunkermanagement, hängt aber damit zusammen. Mit dem Bunkermanagement können wir die Ballenpresse energieeffizient betreiben und nur so viele Pumpen und Energie einsetzen, wie für das jeweilige Material nötig sind. Die Zuführbänder sind im vorherigen Betrieb immer durchgelaufen. Jetzt können wir diese erst anschalten, wenn ein Bunker voll ist. In allen Werken, in denen wir sowohl das Bunkermanagement als auch die Ballenpressen einsetzen, können wir die Energieeffizienz steigern.
Wie viele Anlagen sind mittlerweile in Betrieb und wie sah der Weg in die Praxis aus?
Die erste Anlage war ein Testbetrieb in den Niederlanden. Dort konnten wir genug Daten sammeln, um das Bunkermanagement in der ersten großtechnischen Anlage – zwischen Köln und Bonn – mit einem guten Start-Programm anlaufen zu lassen. Diese Anlage haben wir im September 2022 in Betrieb genommen. Wir haben den Automatikbetrieb erstmal nur da eingeführt, wo wir auch jederzeit wieder auf manuell umstellen konnten. So haben wir letzte Erkenntnisse und Erfahrungen für einen Betrieb gesammelt, der dann nicht mehr auf manuell umstellen kann. Mittlerweile haben wir zwei Anlagen gebaut, die von vornherein mit dem Automatikbetrieb ausgerüstet sind. Eine in Nordrhein-Westfalen, die seit Januar 2023 in Betrieb ist. Und eine in Motala, Schweden. Diese ist im Moment die größte Anlage in Europa. Außerdem sind drei weitere Anlagen in Planung: eine in Portugal, eine bei Darmstadt und eine in Oberfranken. Das ist schon ein Riesenerfolg.
Welche Herausforderungen gab es bei der Umstellung vorhandener Anlagen?
In einem umgestellten Betrieb muss das Bedienpersonal noch da sein, wenn manuell gefahren wird. Es war schwierig, wenn jemand die Anlage aus den falschen Gründen ausgeschaltet hat. Wir haben Selbstlernalgorithmen impliziert, die die Qualität der fertigen Ballen hinten raus prüfen und im nächsten Bunkerabzug berücksichtigen. Wenn also an irgendeiner Stelle manuell eingegriffen wird, dann wird dieser Automatismus gestört. In den neuen automatisierten Anlagen passiert das nicht, weil die Mitarbeitenden den Betrieb gar nicht anders kennen.
Welchen Forschungsbedarf gibt es noch?
Wenn ein Rest aus dem Bunker noch verarbeitet werden muss, damit die nächste Charge in die Ballenpresse kann, dann gibt es einen sogenannten halben Ballen. Der wird sehr häufig vorne wieder aufgegeben, weil er nicht hält und nicht transportfähig ist. Das ist ein Desaster – wenn eine Anlage ein Material mehrmals behandeln muss, kostet das nochmal Energie und Geld. Daher geht es jetzt Richtung Sortierprozess: Wie bringe ich das Material in die Bunker und wie messe ich deren Füllstand?
Rückschlüsse in den Prozess lassen sich am besten aus den Bunkern gewinnen. Wenn sich beispielsweise der PE-Bunkers gleichbleibend füllt, kommt immer die gleiche Menge in der gleichen Zeit rein. Wenn es ein Plateau gibt, kommt weniger. Dann ist die Frage: Was ist mit dem zuständigen PE-Trenner los? Dieses Thema behandeln wir im Nachfolgeprojekt EnSort. Wir installieren Messtechnik und schauen uns den Sortierprozess an. Dabei fangen wir hinten bei den aussortierten Materialien an. Dadurch können wir zwar nur rückwirkend an den Aggregaten etwas verändern, aber so schnell ändert sich auch der Input nicht. Am Anfang ist dieser zu inhomogen, sodass er sich nicht analysieren lässt. Die Neuroinformatiker unseres Projektpartners Ruhr-Uni Bochum arbeiten bereits daran, wie sich Vorhersagen in die Zukunft anhand der historischen Daten am besten treffen lassen.
Welche Rollen spielen für Sie die Forschungsförderung und der Austausch mit anderen Instituten oder Unternehmen?
Als Anlagenbauer haben wir den Nutzen der Energieeffizienz bei uns gar nicht. Der Anreiz, etwas Neues zu entwickeln, ist bei uns nur gegeben, wenn wir dadurch einen Auftrag bekommen, den wir sonst vielleicht nicht bekommen hätten. Wir haben damit die Chance, wettbewerbsfähig zu bleiben. Um vernünftig und großtechnisch zu entwickeln – was bei uns in der Abfallbranche immer erforderlich ist – wäre der eigene Aufwand zu groß gewesen. Ohne Förderung hätten wir sicher nur einen gewissen Teil entwickeln können.
Und was den Austausch mit anderen betrifft: Damit lässt sich die Schnittstelle zwischen Praxis und den Universitäten gestalten. Aus der Praxis in die Universitäten gehen die Fragen – was ist unser Bedarf? Wie laufen die Prozesse ab? Und Lösungswege, die von den Universitäten kommen, können wir dann wieder implementieren. Die naturwissenschaftlichen Blickwinkel auf die Anlagen würden wir im Maschinenbau ohne Forschungsprojekte nicht haben. Beispielsweise für die mathematischen Modelle in vKBP hätten wir gar nicht die Expertise im Haus gehabt. Und wir können durch die Zusammenarbeit noch mehr über die Produkte lernen und welche neuen Potenziale die Digitalisierung bietet.
Was ist bei der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren aus der Abfallwirtschaft zu beachten, um Forschungsergebnisse weiter in die Anwendung zu bringen?
Gerade bei den kommunalen Kunden läuft viel über Ausschreibungen oder Punktesysteme. Aber wir haben durch die Entwicklungen jetzt ein anderes Standing und die Branche ist relativ klein. Man spricht miteinander, seien es jetzt die kommunalen Betriebe genauso wie die privaten Entsorgungsbetriebe. Die Anlagenbetreiber stellen fest, dass für sie die Datenerfassung und Energieeffizienz sehr positiv sind. Wir sind von der Nachfrage schon ein bisschen überrollt worden. Deshalb haben wir gerade wieder zwei neue Mitarbeitende eingestellt.
Man muss aber auch im Auge behalten, wo die Schwierigkeiten sind, die durch die Umstellung auftreten können. Da ist die Abfallwirtschaft sehr konservativ und wenig bereit, Risiken einzugehen und was Neues auszuprobieren. Thema ist hier auch die Entsorgungssicherheit – es kommen jeden Tag etliche Tonnen Müll und die müssen behandelt werden. Deswegen sind wir auch recht vorsichtig und müssen am Anfang noch viel dabeibleiben. Wenn wir sonst eine Anlage abgenommen haben, dann haben wir vom Betrieb nicht mehr viel gesehen. Jetzt müssen wir uns dauerhaft damit beschäftigen oder zumindest zur Verfügung stehen. Wir schauen aktuell, welche Art von Wartungs-Verträgen für die Zukunft abzuschließen sind. Dadurch können wir auch Vertrauen schaffen.
Das Interview führten Annika Zeitler (2018) und Leona Niemeyer (2023), Wissenschaftsjournalistinnen beim Projektträger Jülich.