Forschende arbeiten im Projekt FernWP daran, Großwärmepumpen in der Fernwärme einzusetzen. © Stefan – stock.adobe.com
Forschende arbeiten im Projekt FernWP daran, Großwärmepumpen in der Fernwärme einzusetzen.

Analyse im Forschungsprojekt FernWP
Ist Deutschland auf dem richtigen Weg zum Markthochlauf von Großwärmepumpen?

Anna Billerbeck Mission Wärmewende 2045

27.04.2023 | Aktualisiert am: 15.11.2024

Vor allem gezielte Förderung und ein angemessener CO2-Preis sind ausschlaggebend dafür, dass Großwärmepumpen schnell mit fossilen Technologien mithalten können. Das erklärt Anna Billerbeck vom Fraunhofer ISI im Interview mit industrie-energieforschung. Ihr Team hat einen Bericht zur Wirtschaftlichkeit der klimafreundlichen Alternative veröffentlicht.

Im Forschungsprojekt FernWP entwickelt ein Forschungsteam leistungsfähige Großwärmepumpen, die auch die hohen Temperaturanforderungen von Fern- und Prozesswärme erfüllen. Dabei gilt es, insbesondere die bestehende Infrastruktur einzubinden und so eine emissionsarme und wirtschaftliche Alternative zur Wärme aus Kohlekraft zu schaffen.

Im ersten Arbeitspaket haben Forschende unter der Leitung von Anna Billerbeck vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI zunächst die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Großwärmepumpen untersucht und in einem Bericht öffentlich zugänglich gemacht. Im Interview spricht die Forscherin über Hürden und Hemmnisse, die Chancen gezielter Förderung und die Möglichkeit, dass Großwärmepumpen die Kohle in der Fernwärme ablösen können.

Porträtfoto Anna Billerbeck ©Fraunhofer ISI
Anna Billerbeck ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum Energiepolitik und Energiemärkte am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Die Forscherin beschäftigt sich insbesondere mit Themen rund um politische Maßnahmen zur Dekarbonisierung von Wärme- und Kältenetzen.

Frau Billerbeck, Sie haben die ökonomischen Rahmenbedingungen für Großwärmepumpen untersucht. Warum ist das so wichtig und wer kann von Ihren Ergebnissen profitieren?

Anna Billerbeck: Der Wärmesektor macht bis zu 50 Prozent des deutschen Energieverbrauchs aus. Der Kohleaussteig ist beschlossen und die Gaspreise sind stark gestiegen. Das heißt, wir haben zwei Technologien, mit denen wir aktuell Strom und Wärme erzeugen, die wir zukünftig aber nicht mehr nutzen werden. Vor diesem Hintergrund sind Großwärmepumpen eine klimafreundliche Alternative, und zwar insbesondere dann, wenn sie Strom aus erneuerbaren Energien nutzen.

Im Moment existieren allerdings noch Hemmnisse, Großwärmepumpen einzusetzen und im Markt zu etablieren. Mit unserem Bericht wollen wir einen Beitrag dazu leisten, diese Hemmnisse zu überwinden. Von unseren Untersuchungen zu den ökonomischen Rahmenbedingungen können verschiedene Akteure profitieren: Das sind etwa politische Entscheidungsträger und auch kommunale Planer oder Berater. Auch für Fernwärmenetzbetreiber sind die Ergebnisse interessant. Diese können dadurch leichter erkennen, unter welchen Bedingungen Großwärmepumpen rentabel sein können und wann der Rahmen gegeben ist, um solche Projekte zu realisieren. Und für Großwärmepumpen-Hersteller, die zeigen wollen, dass ihre Technologie eigentlich schon rentabel ist.

Sie erwähnten bereits, dass es noch einige Hemmnisse gibt. Wo sehen Sie die größten Hürden beim Ausbau von Großwärmepumpen?

Anna Billerbeck: Da lässt sich zwischen verschiedenen Typen von Hemmnissen unterscheiden. Aus der technischen Sicht ist beispielsweise das benötigte Temperaturniveau in den Fernwärmenetzen zu nennen. Viele Netze in Deutschland haben noch ein relativ hohes Temperaturniveau, das heißt über 100 Grad Celsius. Hier gibt es noch nicht so viel Erfahrung, wie Großwärmepumpen in diesen Netzen am besten Wärme liefern können. Außerdem haben viele Fernwärmenetze einen sehr hohen Wärmebedarf und es gibt noch nicht so viele Anlagen, die sehr hohe Leistungen (der Megawattklasse) erbringen.

Dann gibt es auch noch wirtschaftliche Hemmnisse. Wärmepumpen sind im kleinen Leistungsbereich für Wohngebäude mittlerweile eine etablierte Technologie. Große Anlagen in Fernwärmenetzen umzusetzen, ist dagegen Neuland und mit größeren Herausforderungen verbunden. Bisher gibt es kaum umgesetzte und verfügbare Anlagen, die Investitionen sind hoch und es müssen hohe Betriebskosten aufgebracht werden. Deshalb gibt es im Moment eher noch maßgeschneiderte individuelle Lösungen oder individuelle Projekte. In Bezug auf die Wirtschaftlichkeit, sprechen wir hier eben nicht von einer Massenherstellung. Ein weiteres wichtiges Hemmnis ist, dass der Bekanntheitsgrad relativ gering ist – also zum einen die technischen Möglichkeiten und auch was wirtschaftlich realisierbare Anwendungspotenziale sind. Deswegen sind Pilot- oder Demonstrationsprojekte sehr wichtig. Die drei größten Hemmnisse sind also technisch-, wirtschaftlich- und auch informationsbasiert.

In Ihrem Bericht haben Sie unter anderem drei Szenarien für den Einsatz von Großwärmepumpen durchgespielt. Was haben Sie herausgefunden?

Anna Billerbeck: Es sind drei Szenarien, die die Wirtschaftlichkeit von Großwärmepumpen mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen berechnen. Alle drei Szenarien starten mit einer Wirtschaftlichkeit in 2025 und bilden eine Prognose bis 2050 ab. Das erste Szenario haben wir Baseline genannt. Das ist eher ein Szenario, das nur illustrativ ist und die Methodik in dem Bericht erklärt. Hier haben wir angenommen, dass es gar keinen CO2-Preis und auch keine Förderung für Großwärmepumpen geben würde und haben uns die Wirtschaftlichkeit der Anlagen im Vergleich zu anderen Technologien – insbesondere einem Gaskraftwerk, also einer Gas-Kraft-Wärme-Kopplung, und einem Heizwerk – angeschaut. Das Szenario zeigt, was passieren würde, wenn der Staat gar nicht eingreifen würde. Da sind Großwärmepumpen leider nicht wirtschaftlich – auch bis 2050 nicht.

Das zweite Szenario fokussiert den CO2-Preis. Wir haben in unserer Rechnung Anlagen ab 20 Megawatt angenommen – die fallen unter das europäische Emissionshandelsystem, kurz ETS [aus dem Englischen: emissions trading system]. Dabei haben wir zwei verschiedene Entwicklungspfade für den CO2-Preis angenommen: Einmal einen sehr starken Anstieg bis fast 500 Euro pro Tonne CO2 und einmal einen etwas weniger starken Anstieg nur bis 200 Euro pro Tonne CO2. Selbst bei einem sehr hohen CO2-Preis erreichen wir nicht zeitnah – also nicht in 2025 – eine Wirtschaftlichkeit von Großwärmepumpen.

Das dritte Szenario haben wir Förderung genannt und die neue Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (kurz BEW) einbezogen. Dieses neue Förderprogramm ist zum einen eine Investitionsförderung und zum anderen eine Betriebskostenförderung – beides haben wir im dritten Szenario abgebildet. Dabei ist die Investitionsförderung abhängig von der Wirtschaftlichkeitslücke. Das ist in dem Förderprogramm so definiert. Hier haben wir einerseits Szenarien berechnet, in denen eine volle Förderung gewährt wird. Das heißt, 40 Prozent der Investition wird gefördert. Andererseits haben wir Szenarien berechnet, bei denen eine geringere Investitionsförderung vorliegt – nur 20 Prozent wird gefördert. Die Betriebskostenförderung haben wir ebenfalls abgebildet. Diese wird in Cent pro Kilowattstunde auf den Strom ausgezahlt und reduziert damit den Strompreis für Großwärmepumpen. Dabei zeigt sich, dass Großwärmepumpen, insbesondere bei einem hohen CO2-Preis und voller Förderung auf jeden Fall wirtschaftlich betrieben werden können – und zwar auch schon ab unserem definierten Start Jahr 2025. Wenn aber der CO2-Preis etwas weniger stark ansteigt und nicht die volle Förderung, eventuell auch nicht die Betriebskosten-Förderung gewährt werden, ist es für Großwärmepumpen auf jeden Fall schwieriger, wettbewerbsfähig zu werden – insbesondere im Vergleich zu den Gastechnologien.

Sie haben es gerade schon etwas anklingen lassen: Können Großwärmepumpen unter heutigen Bedingungen also schon wirtschaftlich betrieben werden und wenn ja, von welchen weiteren Faktoren ist das abhängig?

Anna Billerbeck: Für unsere Wirtschaftlichkeitsberechnung haben wir natürlich viele Annahmen getroffen. Wir haben uns dabei an dem Fall Cottbus orientiert und versucht, das Cottbuser Fernwärmenetz abzubilden, weil das auch im Projektkontext unser Standort ist, an dem wir eine Pilotanlage planen. Unter unseren getroffenen Rahmenbedingungen können Großwärmepumpen wirtschaftlich betrieben werden – insbesondere dann, wenn der CO2-Preis steigt und wenn der Betreiber im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze eine Förderung erhält. Das ist aber auf unseren Fall bezogen und heißt nicht, dass das auf alle Netze übertragbar ist. Denn, es hängt auch sehr stark vom Temperaturniveau oder von der Topologie des Netzes und auch von den Quellen, die die Wärmepumpe nutzen könnte, ab. Wir haben in unserem Bericht zwei Versionen gerechnet: Einmal die Nutzung der Wärme aus einem Speichersee und einmal die Nutzung tiefer Geothermie. Nicht jedes Netz hat solche Potenziale in der Nähe. Da gilt es, zu schauen, was auf der Erzeugungsseite für Quellen genutzt werden können und welche Netztemperaturen erreicht werden müssen. Unsere Rechnung ist somit begrenzt auf alle Netze übertragbar. Aber grundsätzlich können unsere Ergebnisse zeigen, dass Großwärmepumpen in manchen Fällen schon wirtschaftlich betrieben werden können und, dass die neue Förderung in die richtige Richtung geht. Sie leistet einen großen Beitrag, damit Wärmepumpen wirtschaftlich betrieben werden können.

Sind solche neuen Fördermodelle also ein wichtiger und richtiger Weg?

Anna Billerbeck: Genau, nach unseren Rechnungen ist ersichtlich, dass das Fördermodell mit der jetzigen Ausgestaltung einen erheblichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit von Wärmepumpen leistet. Jetzt ist die Frage, ob das auch in der Realität so angenommen wird – also ob die Förderung immer in dem Maße wie in unseren Berechnungen ausgezahlt wird. Die Betriebskostenförderung wird erst ab einer Effizienz, einem sogenannten SCOP von 2,5 ausgezahlt. Der SCOP [aus dem Englischen: Seasonal Coefficient of Performance] gibt die Energieeffizienz von Wärmepumpen in Bezug auf die Heizfunktion im Ganzjahresbetrieb an und zeigt damit wie effizient eine Wärmepumpe in der Praxis arbeitet. Da ist die Frage, ob alle Anlagen diese Vorgabe erreichen. Außerdem ist die Förderung auf die Wirtschaftlichkeitslücke begrenzt. Hier ist offen, wie sich das am Ende ausgestaltet und in der Praxis tatsächlich Anwendung findet. Zum Beispiel gab es vorher schon ein erfolgreiches Förderprogramm, aber im Endeffekt war die Nachfrage dann doch etwas geringer, weil größere Hemmnisse oder Hürden bestanden, dieses Förderprogramm tatsächlich anzunehmen und zu nutzen. Bei der Evaluierung des neuen Förderprogramms sollte daher genau geprüft werden, ob die Förderung zu ausreichend Investitionen in der Praxis führt und wie gegebenenfalls nachgebessert werden kann.

Bei FernWP erforschen Sie, wie mithilfe von Großwärmepumpen Kohle in der Fernwärme und in der Prozesswärme ersetzt werden könnte. Ist das mit Blick auf die ökonomischen Rahmenbedingungen realistisch, dass der Umstieg rechtzeitig zum Kohleausstieg erfolgen kann?

Anna Billerbeck: Das ist auf jeden Fall eine spannende Frage. Es ist vor allem angedacht, dass es bis 2030 bereits große Investitionen in Großwärmepumpen gibt. Selbst wenn wir jetzt davon ausgehen, dass Großwärmepumpen wirtschaftlich betrieben werden können, ist das trotzdem ein sehr ambitioniertes Ziel, weil die Gestaltung der Wärmeversorgung auch immer ein sehr kommunales Projekt ist. Da muss die ganze Kommune mitarbeiten und das heißt, es gibt sehr viele unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen. Das ist in der Regel eine sehr große Herausforderung, dass alle ein Ziel verfolgen und den Kohleausstieg umsetzen und beispielsweise die Erzeugungsstruktur mit Großwärmepumpen substituieren. Es gibt hier auf jeden Fall durch die kommunale Wärmeplanung eine politische Maßnahme, die diesen Prozess sehr gut unterstützen kann. Die kommunale Wärmeplanung bedeutet sozusagen, dass Kommunen einen strategischen Plan erarbeiten, um ihre Wärmebereitstellung vor Ort zu dekarbonisieren. Und da sind Fernwärme und dann auch Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen eine Möglichkeit. Das wird aktuell sowohl auf nationaler Ebene als auch auf europäischer Ebene diskutiert. Gerade werden die Energieeffizienzrichtlinie und die Erneuerbaren-Energien-Richtlinie revidiert und auch hier wird diese kommunale Wärmeplanung als eine der Maßnahmen vorgeschlagen. Das heißt, wir sehen von verschiedenen Bereichen, dass das ein sehr vielversprechendes Instrument ist. Viele setzen große Hoffnungen darauf, dass die kommunale Wärmeplanung einen guten Beitrag leisten kann, mit der wir dieses sehr ambitionierte Ziel des Kohleausstiegs erreichen.

Insgesamt ist es schön, dass wir so viel Interesse an unserem Bericht sehen. Wir haben viele Anfragen bekommen und das ist ein Zeichen, dass ein Bedarf besteht, sich über Großwärmepumpen und deren Wirtschaftlichkeit zu informieren. Es zeigt, dass sich die Akteure mit dem Thema beschäftigen und anfangen, darüber nachzudenken, wie diese Ziele erreicht werden können.

Was steht in Ihrem Projekt FernWP jetzt als nächstes an?

Anna Billerbeck: Zum einen die Pilotanlage in der Stadt Cottbus, die von den Projektpartnern, also den Stadtwerken Cottbus zusammen mit dem Fraunhofer IEG, geplant wird. Aktuell sind wir in dieser Planungsphase und die Anlage soll in circa einem Jahr errichtet werden. Dabei handelt es sich um eine circa 500 Kilowatt Wärmepumpe, die dann in das Cottbuser Fernwärmenetz einspeist. Die Quelle, die diese Wärmepumpe nutzt, ist ein nahe gelegenes Gewässer. Mit diesem ersten Pilotprojekt können wir sehr viel lernen und wir hoffen, dass die Erkenntnisse skalierbar sind und andere Gemeinden oder Kommunen in Deutschland von unseren Ergebnissen profitieren können. Die zweite Sache ist, dass unsere Projektpartner – der Verband für Fernwärme AGFW und das Fraunhofer IEG – zusammen eine Austauschplattform erarbeiten. Diese soll viele unterschiedliche Akteure zusammenbringen – insbesondere sollen sich dort auch Verbände einbringen können. Die Austauschplattform beinhaltet zum einen eine Webseite, aber auch verschiedene Veranstaltungen, Webinare und Workshops. Für die zweite Jahreshälfte 2023 ist beispielsweise ein erster Workshop geplant. Das Hauptziel der Plattform ist, Akteure zusammenzubringen und den Erfahrungsaustausch zu fördern.

Das Interview führte Kim Statzner, Wissenschaftsjournalistinnen beim Projektträger Jülich.