Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO)  hat sich rechtlich bindend verpflichtet, die gesamten Treibhausgasemissionen aus der Schifffahrt bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren. © aerial-drone – stock.adobe.com
Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO)  hat sich rechtlich bindend verpflichtet, die gesamten Treibhausgasemissionen aus der Schifffahrt bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren.

CO2-Kreislauftechnologien
90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs erfolgt per Schiff

Dr. Petra Zapp Mission Energiesystem 2045

23.01.2023 | Aktualisiert am: 15.11.2024

Im internationalen Forschungsprojekt ACT Everlong wird erstmals die schiffsbasierte Kohlenstoffabscheidung, kurz SBCC, im realen Schiffsbetrieb getestet. Darüber hinaus entwickelt das Wissenschaftsteam in Szenarien die passende Hafeninfrastruktur. Dort soll das auf See abgetrennte CO2 entladen und anschließend zu Verwertern weitertransportiert werden. Dr. Petra Zapp ist die Projektleiterin für die Arbeitspakete auf deutscher Seite. Die Ingenieurin vom Forschungszentrum Jülich beschreibt die technologischen, rechtlichen sowie covid- und kriegsbedingten Herausforderungen.

Porträtbild Petra Zapp © Gesine Born
Dr. Petra Zapp arbeitet im Institut für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum in Jülich.

Frau Zapp, warum ist die CO2-Reduktion im Schiffsverkehr wichtig?

Die Zahlen sprechen eigentlich für sich: 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs erfolgt per Schiff. Wäre der Schiffsbetrieb ein Land, läge es auf Platz 6 der weltweiten CO2-Emittenten. Daher besteht dringender Handlungsbedarf. Dies muss aufgrund freiwilliger Vereinbarungen erfolgen, da der Schiffsverkehr im Pariser Klimaabkommen nicht berücksichtigt wurde.

Gibt es Selbstverpflichtungen von Seiten der internationalen Schifffahrt?

Laut einer Studie der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (IMO) aus dem Jahr 2014 könnte der CO2-Ausstoß im Jahr 2050 bei 15 Prozent der weltweiten Emissionen liegen, wenn keine Gegenmaßnahmen vorgenommen werden. IMO hat deshalb rechtlich verbindlich das Ziel definiert, die gesamten Treibhausgasemissionen aus der Schifffahrt bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren.

Auf welchen Schiffstypen werden die Prototypen der CO2-Abscheideanlagen ausprobiert?

Die Sleipnir ist ein Schwimmkran mit einem Viertakt-Motor, wie ihn auch Fähren oder Kreuzfahrtschiffe nutzen. Das zweite Schiff ist ein LNG-Carrier mit einem Zweitakt-Motor.

Warum ist es sinnvoll, das Kohlendioxid direkt auf dem Schiff aus den Abgasen zu filtern?

Durch das Vernetzen der CO2-Abscheideanlage mit dem Schiffsmotor lässt sich beispielsweise dessen Abwärme nutzen. Wir planen, diese zum Reinigen des Waschmittels einzusetzen. Außerdem werden wir die Kälte aus dem LNG-Verdampfungsprozess zum Verflüssigen des abgetrennten CO2 verwenden. Diese Maßnahmen erhöhen die Energieeffizienz und sparen damit Energie und Kosten gegenüber einer Anlage an Land.

Wie groß ist die Abscheideanlage?

Zwei Schiffscontainer für die Anlage sowie ein zusätzlicher Container für den Tank und eine sogenannte Kolonne. In ihr wird das CO2 aus dem Abgas abgeschieden. Die Anlagengröße muss von uns, insbesondere mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit, mitbedacht werden, da der Platz für die Abscheideanlage als Frachtfläche wegfällt.

Was sind besonders große Herausforderungen?

Global betrachtet liegt die Herausforderung zum einen schlichtweg in der Quantität der Aufgabe. Der weltumspannende Schiffsverkehr emittiert jährlich rund eine Milliarde Tonnen CO2. Zum anderen ergeben sich aus der potenziell möglichen CO2-Abscheidung auf See viele Fragen, insbesondere rechtlicher Art. Die Schiffe sind zum Teil in Ländern außerhalb Europas registriert, wollen das CO2 aber in europäischen Häfen abliefern. Da ist beispielsweise noch überhaupt nicht klar, wie das reguliert werden soll.

Gibt es bei Everlong auch wie anderorts Lieferengpässe?

Ja, uns Forschende im Everlong-Projekt machen aktuell die Lieferengpässe und Preisexplosionen zu schaffen. Die ganze Projekt-Logistik kommt dadurch durcheinander. Die Schiffe liegen in Häfen, können aber dort nicht auf die säumigen Bauteile warten. Das sind logistische Probleme, die nicht vorhersehbar waren. Mit den Schiffen muss Geld verdient werden. Daher nehmen sie neue Fracht auf und fahren wieder ihre Lieferrouten ab. Wenn die verspätet gelieferten Bauteile dann vor Ort sind, muss alles neu koordiniert und geplant werden. Oder das Equipment muss zu einem anderen Hafen gebracht werden.

Gibt es unter diesen erschwerten Bedingungen mehr Geld?

Das Projekt ist zwar europäisch, aber das Geld wird national akquiriert. Die Projektleitung liegt in den Niederlanden. Diese spricht nun mit den Projektträgern in den verschiedenen Ländern, wie eine kostenneutrale Verlängerung oder zumindest eine Verschiebung aussehen könnte. Mehr Fördergeld wird es wahrscheinlich nicht geben.

Eine weitere Möglichkeit, an zusätzliche Finanzmittel zu gelangen, bietet das ACT-Everlong-Advisory-Board. Die Idee, die dahintersteckt, ist, interessierte Schiffseigner und Häfen als Boardmitglieder zu gewinnen. Diese bringen Geld ein, ohne direkt am Forschungsprojekt beteiligt zu sein. Die Board-Mitglieder können dafür ein erstes Konzept für eine SBCC-Anlage auf einem ihrer Schiffe erhalten. Die Projektleitung sucht derzeit nach weiteren Interessenten, um so zusätzliches Geld zu generieren.

Wie ist hier die Resonanz? Springen Schiffseigner und Hafenbetreiber auf?

Ja, das ist tatsächlich so. Wir haben keine Hafenbetreiber als direkte Projektpartner. Mittlerweile sind fünf Häfen im Advisory Board vertreten. Das sind Rotterdam, Antwerpen, Forth Ports in der Nähe von Edinburgh, Alesund und Grenland in Norwegen.

Eine Nachfrage zum Advisory Board: Ist solch eine Instanz bei großen Forschungsprojekten zu empfehlen?

Das Instrument eines Boards ist nicht verpflichtend, wird aber immer häufiger genutzt. Solch ein Gremium zu etablieren, bietet sich bei industrienahen Projekten an. Es ist eine Möglichkeit, sich über die eigentlichen Projektpartner hinaus zu verschiedenen Facetten des Projekts beraten zu lassen. In unserem Projekt hat es sich als hilfreich erwiesen. Wir treffen uns einmal im Jahr. Ich erlebe den Austausch als sehr offen und konstruktiv.

Welches Forschungsziel fällt in Ihren Aufgabenbereich?

Die CO2-Reduktionsziele stehen für uns im Vordergrund. Das ist unser Arbeitspaket am Forschungszentrum Jülich. Das Ziel lautet 70 Prozent Reduktion. Die ersten Tests in Kleinanlagen zeigen, dass das realistisch ist. Wir analysieren die ganze CO2-Prozesskette, das heißt von der LNG-Lieferung bis zur CO2-Abscheidung und der -Weiterverwertung. Interessant für uns ist, dass wir mit Daten arbeiten können, die im Projekt wirklich gemessen und nicht nur modelliert werden.

Wo steht das Projekt derzeit?

Die niederländische Projektleitung kümmert sich momentan um den Kauf der Hardware, gemeinsam mit den Schiffseignern. Das ist zum einen Total, zum anderen Herema. Andere Partner legen die Abscheideanlagen planerisch aus. Und wiederum andere Projektpartner kümmern sich um die CO2-Verwertungsmöglichkeiten, nachdem das Kohlendioxid in den Häfen gelöscht worden ist. Das bauen wir nicht real auf. Eine Option wäre, mit dem CO2 in den Niederlanden Tomaten in Treibhäusern zu düngen. Außerdem gibt es ein Teilprojekt, das aus CO2 wieder synthetisches Erdgas herstellen möchte. Damit wäre quasi ein Kreislauf geschlossen. Denn dieses Erdgas könnte auf den Schiffen erneut als Treibstoff eingesetzt werden.

Das Interview führte Ilse Trautwein, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.