Anwohnerinnen und Anwohner sind neuen Windenergieanlagen gegenüber positiver eingestellt, wenn sie bereits in das Planungsverfahren einbezogen waren. © Jens Ottoson – stock.adobe.com
Anwohnerinnen und Anwohner sind neuen Windenergieanlagen gegenüber positiver eingestellt, wenn sie bereits in das Planungsverfahren einbezogen waren.

Windenergie
Finanzielle Beteiligung alleine reicht nicht aus

Gundula Hübner Mission Stromwende 2045

03.06.2022 | Aktualisiert am: 20.11.2024

PROF. DR. GUNDULA HÜBNER IM INTERVIEW

Professorin Dr. Gundula Hübner, Sozial- und Umweltpsychologin und ihr Kollege Dr. Johannes Pohl gehören zu den Pionieren der Akzeptanzforschung im Bereich Windenergie. In ihrer aktuellen Broschüre mit Ergebnissen aus dem Projekt TremAc stellen die Forschenden unter anderem fest: Die Wissenschaft benötigt dringend eine einheitliche Definition von „Belästigung“. Im Interview spricht Gundula Hübner über ihre Arbeit mit Anwohnerinnen und Anwohnern, über hörbaren und nicht hörbaren Schall und über Nachbarn, die gern Grillfeste feiern.

Frau Hübner, Sie beschäftigen sich seit Ihrer Promotion im Jahr 1997 mit der Akzeptanz von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Sie gehen offen auf die Anwohnerinnen und Anwohner zu. Gibt es noch Aussagen, die Sie überraschen?

Was Belästigung oder Akzeptanzfragen angeht, überrascht mein Team und mich eigentlich nichts. Überraschen ist vielleicht auch der falsche Begriff, weil wir mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zusammenarbeiten. Die Menschen sind sehr vertrauenswürdig, sie führen selber auch Messungen durch. Zudem arbeiten wir in interdisziplinären Teams mit Expertinnen und Experten, die Schall und Bodenwellen messen und Wetterdaten erheben.

Für Außenstehende ist es schwierig zu beurteilen, wie es ist, in der Nähe einer Windenergieanlage zu wohnen. Wie ist das denn Ihren Untersuchungsergebnissen nach – sind Geräusche in den umliegenden Häusern zu hören oder nicht?

Ja, es gibt Anwohnende, die etwas hören. Wir analysieren, wie viele dies betrifft und was sie hören. Was immer wieder kommuniziert wird: Es wären der Infraschall und die Vibrationen, die zu Problemen führen. Wir haben aber sicher nachgewiesen, dass Infraschall und Vibrationen, die durch Windenergieanlagen verursacht werden, weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen. Die Menschen können das definitiv nicht hören oder spüren. Hier wird es jetzt aber spannend – denn sie hören etwas Anderes. Und das analysieren wir. Es handelt sich unter anderem um tieffrequente Geräusche, die zu hören sind, auch wenn die Immisionsschutzrichtlinien eingehalten werden. Diese Geräusche verursachen nicht nur bei Windenergieanlagen, sondern auch bei anderen Emissionsquellen Probleme, etwa bei Klimaanlagen und Wärmepumpen.

Sie untersuchen von den Rückmeldungen der Menschen ausgehend, wie künftige Windenergieanlagen betrieben werden können, damit sie als weniger störend empfunden werden. Was gibt es für Optionen?

Zunächst einmal liegen die Anlagen innerhalb der genehmigten Richtwerte, sie haben eine Betriebsgenehmigung. Aber auch in der Windbranche besteht natürlich Interesse daran, Dinge zu verbessern. Durch Anwohnerbeschwerden hat es bereits sehr viele Verbesserungen gegeben – zum Beispiel ist die Schattenwurfstudie von Johannes Pohl aus den Jahren 1999/2000 in eine Richtlinie eingeflossen. Das war in der Zeit, in der in Schleswig-Holstein die ersten großen Windparks entstanden. Auch die Regulierung der Lichtsignale an den Anlagen ist auf Anwohnerinnen und Anwohner und zum Teil auch auf unsere Studien zurückzuführen. Die aktuelle Diskussion um die Geräusche hingegen ist deswegen so stark geworden, weil lange der Standpunkt vorherrschte: Die Immissionsschutzwerte sind bewährt, daher kann es nicht sein, dass ihr Probleme habt. Dadurch ist eine Lücke entstanden, die zu lange ohne empirische Grundlagen durch andere Gruppen bedient wurde.

Wie gehen Sie bei Ihren Studien vor?

Wir ermitteln, wie viele Menschen betroffen sind und befragen sie ausführlich. Wir erfassen Wetterdaten und die Betriebsdaten der Anlagen. Das setzen wir alles in Beziehung zu den objektiven Messungen der Kolleginnen und Kollegen von Bodenbewegungen und Schall. Die Anwohnenden geben uns auch Rückmeldungen. In einem Fall haben sie selber mit Audiorekordern die hörbaren Geräusche erfasst. Daraus versuchen wir gemeinsam mit den Windparkbetreibern abzuleiten, was man tun könnte, um eine Minderung zu erreichen, ohne dass die Anlagen abgestellt werden. Wir versuchen, einen sinnvollen Betrieb dieser Anlagen zu ermöglichen für diese wichtigen Anliegen: erneuerbare Energien, Klimaschutz und Frieden.

Es gibt ja in der Berichterstattung oftmals positive Fälle von gut akzeptierten Windparks. Da geht es dann darum, dass die Menschen von Anfang an gut mitgenommen und auch finanziell beteiligt wurden. Wie klingt das für Sie?

Für mich stellt sich die Frage, was „mitnehmen“ genau heißt. Informieren alleine reicht jedenfalls nicht aus. Mitnehmen heißt eigentlich, dass die Bürgerinnen und Bürger schon in die Erstellung der Flächennutzungspläne und Regionalpläne miteinbezogen werden sollten. Was dabei auch klar ist: Windeignungsflächen müssen zunächst als solche identifiziert werden. Im Anschluss gibt es dann aber den Weg, die Bürgerinnen und Bürger als Expertinnen und Experten für ihre Heimat miteinzubeziehen. Wenn der Bauplan einen sinnhaften Bezug zu deren Heimat hat, erreichen wir eine andere Akzeptanz.

Und die finanzielle Beteiligung?

Wenn man dazu noch eine finanzielle Beteiligung anbietet, zum Beispiel einen niedrigeren Strompreis, dann ist das positiv. Aber finanzielle Beteiligung reicht nicht allein. Wir haben gerade in Bayern ein Projekt abgeschlossen, bei dem die jungen Leute vor Ort gesagt haben: Wir wollen in jeder Kommune im Landkreis ein Windrad, weil wir da stolz drauf sind. Weil so alle von den Vorteilen profitieren aber auch die Nachteile fair verteilt sind. Das können wir uns viel besser vorstellen als eine Konzentrationsfläche oder mehr Solarenergie.

Heißt das, wenn die Anwohnenden bereits in die Planung einbezogen waren, fühlen sie sich nicht mehr durch die Anlagen belästigt?

Das ist nun ein ganz wichtiger Punkt: Auch Menschen, die den Anlagen positiv gegenüber eingestellt sind, können durch die Geräusche belästigt sein. Haben sie aber zusätzlich negative Assoziationen, werden die Belästigungen noch verstärkt. Beispiel: Wenn Nachbarn, die Sie mögen, ein Grillfest feiern, ist das weitaus weniger schlimm, als wenn Sie diese Nachbarn nicht mögen.

Wie ist denn Ihre Definition von „Belästigung“?

Durch eine einzelne Frage lässt sich Belästigung nur ungenau zu fassen. Daher fragen wir zunächst die Anwohnenden auf einer einfachen Skala von gar nicht (0) bis sehr (4), wie stark sie sich belästigt fühlen – für uns zählen Angaben ab einem Wert von 2 als Belästigung. Zusätzlich fragen wir nach Symptomen. Wenn die Menschen zum Beispiel schwer einschlafen können, gilt das als Stresssymptom. Wer mindestens eine mittlere Belästigung erlebt und zusätzlich mindestens einmal im Monat ein Symptom angibt, gilt nach unserer Definition als stark belästigt. Das ist unsere Herangehensweise. Wir brauchen für die nationale und auch internationale Forschung nun dringend eine einheitliche Definition. Da raten wir zu der umweltpsychologischen Definition, mit der wir arbeiten – die haben wir auch bereits veröffentlicht.

Was würden Sie nach Ihren Erkenntnissen sagen: Spielt der Abstand zu Windenergieanlagen eine entscheidende Rolle?

Die Abstandsdiskussion ist eine politische. Wissenschaftlich belegt werden kann der Zusammenhang zwischen Abstand und empfundener Belästigung in den meisten Studien nicht. Es gibt sogar eine Studie aus den USA, an der wir auch beteiligt waren, die ein umgekehrtes Ergebnis hatte: Die näher an der Anlage lebenden Anwohnerinnen und Anwohner waren dort weniger belästigt.

Das Interview führte Meike Bierther, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.