Aerogele-Cluster: Austausch für die Forschung
In einem Gramm Aerogel versteckt sich ein Fußballfeld
Prof. Irina Smirnova Mission Wärmewende 2045
Aerogele können als Wärmedämmung überall dort eingesetzt werden, wo herkömmliche Dämmstoffe versagen. Irina Smirnova koordiniert das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderte Aerogele-Cluster. Im Interview erklärt sie, warum der Austausch der Forschungsprojekte untereinander enorm wichtig ist, warum Aerogele eine extrem große innere Oberfläche haben und wo sie in der Industrie energieeffizient eingesetzt werden können.
Irina Smirnova ist Professorin und Vizepräsidentin für Forschung an der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Seit 2008 leitet sie das Institut für Thermische Verfahrenstechnik an der TUHH. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Aerogele, Hochdrucktechnik, Bioraffinerie, innovative Trenntechnologien sowie der Entwicklung molekularer thermodynamischer Methoden. Sie koordiniert das BMWK-Aerogle-Cluster, in dem mehrere Projekte mit dem Schwerpunkt Aerogele vernetzt sind.
Frau Smirnova, was ist der Unterschied zwischen einem herkömmlichen Dämmstoff und einem Aerogel?
Die Haupteigenschaft eines Dämmstoffs ist eine gute Wärmedämmung. Das heißt: Wärme, die durch einen Dämmstoff will, hat es besonders schwierig. Nehmen Sie zum Beispiel Styropor: Die Poren dieses Dämmstoffs sind geschlossen und es kann nichts hindurchkommen – außer Energie in Form von Wärme.
Aerogele dagegen sind in der Lage, darüber hinaus auch Feuchtigkeit zu transportieren. Sie sind extrem porös, bestehen zu einem großen Teil aus Luft und all ihre Poren sind miteinander verbunden. Das können Sie sich wie einen Schwamm vorstellen. Wenn Sie Wasser von oben auf einen Schwamm tropfen, dann kommt das Wasser irgendwann auf der anderen Seite wieder heraus. Weiter sind die Poren der Aerogele wesentlich kleiner als in herkömmlichen Dämmstoffen – das macht die Wärmedämmung noch besser.
Neben Aerogelen gibt es auch Werkstoffe mit aerogelähnlichen Strukturen - wo genau fängt das eine an und wo hört das andere auf?
Es gibt immer noch keine saubere Definition für Aerogele. Die Wissenschaft diskutiert aktuell immer noch über diese Grenzbereiche. Eigentlich ist ein Aerogel definiert als ein 3D-Netzwerk, aus dem Lösungsmittel komplett entfernt sind, ohne dass die Poren zusammengefallen oder in einer anderen Art und Weise zerstört sind. Sie sind alle offenporig und können aus anorganischen Materialen, wie etwa Silizium- oder Aluminiumoxid, oder organischen Materialien, beispielsweise Zellulose, hergestellt werden. Was Aerogele im Allgemeinen auszeichnet, ist eine sehr niedrige Dichte. Aber bis zu welcher Dichte ist es noch ein Aerogel und ab wann ist es ein konventioneller poröser Stoff? Da haben wir uns in der Wissenschaft noch nicht geeinigt. In jedem Fall ist die Dichte von einem Aerogel kleiner als 0,3 Gramm pro Kubikzentimeter. Da sind wir uns alle einig. Zum Vergleich: Die Dichte von Wasser ist ein Gramm pro Kubikzentimeter.
Was macht Aerogele so effizient?
Mit ihrer extrem hohen Porosität geht auch eine extrem große, innere Oberfläche einher. Das macht sie sehr effizient. Wenn ich gedanklich all diese Poren auseinanderfalten würde, dann könnte ich in einem Gramm Aerogel mindestens ein Fußballfeld verstecken. In ihrer Herstellung sind sie jedoch nicht gerade sehr günstig. Wenn sie mit herkömmlichen Dämmmaterialien konkurrieren wollen, müssen sie mindestens zwei Funktionen mit sich bringen. Und das tun sie durch die Wärmeleitung und die extrem hohe innere Oberfläche.
Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es für Aerogele – vor allem in der Industrie?
Wir sprechen immer von Wärmedämmung in Gebäuden, weil es das Eingängigste ist und sich jeder vorstellen kann. Das war der ursprüngliche Markt der Aerogele, in dem sie sich gut entwickelt haben. Mittlerweile sind auch andere Märkte erschlossen: Extremsportler steigen in Jacken mit Aerogeldämmung auf den Mount Everest, die Batterieforschung nutzt sie sowie die Luft- und Raumfahrt. In der Industrie werden Aerogele dort eingesetzt, wo extrem hohe Temperaturen herrschen: etwa in Hochtemperaturöfen. Dort bin ich auf eine sehr effiziente Wärmedämmung angewiesen, die aber bei hohen Temperaturen nicht kaputtgeht. Herkömmliche Dämmmaterialien verlieren bei hohen Temperaturen ihre Fähigkeit zum Dämmen. Bei den Aerogelen gestaltet sich das aufgrund ihrer besonderer Struktur anders, sodass wir sie bei sehr, sehr hohen Temperaturen einsetzen können.
Können Sie Einblicke in ein paar Forschungsprojekte des Clusters geben, die jetzt schon erfolgreich zeigen, dass Aerogele energieeffizient als Wärmedämmwerkstoff in Hochtemperaturöfen eingesetzt werden können?
Mit AeroFurnace haben wir gezeigt, dass Kohlenstoff-Aerogele als Superisolationsmaterialien in Hochtemperaturöfen anwendbar sind. Mit dem nanoporösen, neuen Wärmedämmwerkstoff können dort bis zu 40 Prozent der benötigten Prozessenergie eingespart werden. Im nächsten Schritt sollen die Kohlenstoff-Aerogele vom Labor in einen realen Ofen übertragen und getestet werden. Im Forschungsprojekt AeroRef sitzen statt herkömmlicher Additive Aerogele als Zusatzmaterialien mit im Gießereiprozess. Ihre Aufgabe ist, Gase, die etwa beim Vergießen und Erstarren frei werden, aufzunehmen. Das macht die Oberfläche des Gussmaterials glatter und es entfällt ein Nachbearbeitungsschritt. Einen etwas anderen Schwerpunkt hat das Forschungsprojekt NAFT: Hier geht es um die Herstellung von Gelen und Aerogelen aus Edelmetallnanopartikeln, die für das Tintenstrahldruck-Verfahren geeignet sind. So können sie in ganz dünnen Schichten für Katalysatoren, Elektrokatalysatoren oder elektrochemische Sensoren eingesetzt werden.
Im Aerogele-Cluster sind mehrere BMWK-geförderte Forschungsprojekte miteinander vernetzt. Was bedeutet das genau?
Es war uns allen ein Anliegen, dass die Forschungsprojekte mit ihren Partnern aus Forschung und Industrie nicht isoliert voneinander arbeiten, sondern einen offenen und engen Austausch untereinander haben. Mindestens alle sechs Monate treffen wir uns: Erst besprechen die Projekte ihre vertraulichen Inhalte und danach gehen wir in den Austausch zu bestimmten, vorher definierten Themen, die keine Betriebsgeheimnisse sind: Zum Beispiel stellt jemand aus dem Cluster eine besonders effiziente Form der Trocknung für Aerogele vor, die alle nutzen können. Es ist dann zwar im Zusammenhang eines Forschungsprojekts entwickelt worden, aber allen anderen steht dieses Wissen dann auch zur Verfügung. Ein Wissenschaftlerteam hat eine gute Zerkleinerungs-Strategie gefunden, ein anderes weiß, wie die Porosität und die elektrische oder thermische Leitfähigkeit von Aerogelen besonders zuverlässig charakterisiert werden kann. Ich denke, solche Cluster wie das Aerogele-Cluster müssen auf Freiwilligkeit beruhen. Alle müssen bereit sein, mit den anderen ihr Know-how zu teilen. Das ist aus meiner Sicht nicht mit Gold aufzuwiegen. Das kann keiner richtig beziffern, aber ein offener Umgang und eine Vernetzung untereinander verhindert so viele Fehler. Und das stärkt unsere Reputation enorm. Wir sprechen eine gemeinsame Sprache und das macht uns schlussendlich auch wettbewerbsfähig. Wir entwickeln unsere Produkte ja für die Industrie und nicht einfach mal so für die Wissenschaft. Und ich bin deshalb sehr froh, dass in unserer Deutschen Aerogel-Community dieser Geist der vertrauensvollen und offenen Zusammenarbeit herrscht.
Welchen Forschungsbedarf sehen Sie in den kommenden Jahren im Bereich der Aerogele?
Für die Markteinführung der Aerogele in neuen Anwendungsfeldern fehlt der Nachweis ihrer Funktionsfähigkeit in der industriellen Praxis sowie die Möglichkeit, Aerogele in größerem Maßstab herzustellen. Ziel ist, Aerogele in einem kontinuierlichen Prozess herzustellen – der Sprung von Batch to Conti. Die Prozesse sollten darüber hinaus kürzer und effizienter werden.
Für einen Aerogeltyp haben wir das schon im Forschungsprojekt AeroKonti zeigen können: Statt mehrerer Stunden können die Aerogelpartikel mit einem Durchmesser bis zum Millimeter-Bereich innerhalb weniger Minuten in einem neu entwickelten kontinuierlichen Prozess getrocknet werden. Das ist ein großer Schritt und hebt die Materialien in eine ganz andere Wirtschaftlichkeit. Aber ist die Übertragbarkeit gegeben? Können jetzt alle auf diesen Prozess umgestellt werden? Das gilt es zu prüfen. Ein weiteres Potenzial liegt in sogenannten Hybriden-Aerogelen, die aus mehreren Materialien zusammengesetzt sind und in ihrer Struktur neue Möglichkeiten bieten. In Forschung und Entwicklung müssen wir aber schauen, wie wir diesen Mix beherrschen: in der freien Wahl der chemischen Struktur, der Herstellung im technischen Maßstab, der effizienten Trocknung und später im Prozess.
Das Interview führte Annika Zeitler, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.