Hochtemperatursupraleiter
Wir können die Stromtragfähigkeit noch verdoppeln
Prof. Mathias Noe Mission Stromwende 2045
Mathias Noe vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erklärt, warum Hochtemperatursupraleiter eine Innovation für das Stromnetz der Zukunft sind, spricht über das Highlight-Forschungsprojekt AmpaCity und über den Forschungsbedarf für die HTSL-Technologie der nächsten Jahre.
Herr Noe, worin liegt der Unterschied zwischen einem Kupferkabel und einem Hochtemperatursupraleiter-Kabel? Warum ist HTSL eine Innovation für das Stromnetz der Zukunft?
Ein Kupfer-Leiter kann im Querschnitt pro Quadratmillimeter des Leiters ein Ampere tragen. Ein Supraleiter kann das Hundertfache an Stromdichte im selben Querschnitt übertragen. Das heißt, Supraleiter sind viel kompakter und erwärmen sich nicht, weil die Übertragung verlustfrei passiert. Sie haben keinen elektrischen Widerstand.
Was sind im Zusammenhang mit der BMWK-Forschungsförderung die Meilensteine im Forschungsfeld Hochtemperatursupraleitung?
Schwerpunkt der Forschungsförderung war schon immer die gesamte Wertschöpfungskette von der Materialentwicklung bis hin zur Anwendung der Technologie: Beispiele sind die Entwicklung von Yttrium-Barium-Kupferoxid-, kurz: YBCO-Bandleitern und Infrastrukturen. Im Fokus der Förderung war zunächst erst der Bereich der rotierenden Maschinen, dann aber auch Kabel und Strombegrenzer.
Als Highlight können wir ganz sicher das Forschungsprojekt AmpaCity in Essen festhalten, wo ein 40-Megavoltampere (MVA)-Kabel mit einer Länge von einem Kilometer heute noch im Betrieb ist, was damals keiner gedacht hatte. Mit dieser Übertragungskapazität können perspektivisch Umspannwerke im Innenstadtbereich zurückgebaut werden. Aus einem zweijährigen Testbetrieb im Essener Stromnetz ist ein bisher nicht endender Betrieb erfolgt. Das hat dazu geführt, dass die Forschung und Entwicklung bei Supraleiter-Kabeln eine andere Tendenz genommen hat: Auch viele andere Forschungsprojekte mit dem Schwerpunkt HTSL sind nicht als kurzzeitige, sondern als dauerhafte Installationen im Stromnetz angelegt.
Ein weiteres Highlight war ganz sicherlich, das erste resistive Strombegrenzer- Forschungsprojekt Ensystrob mit YBCO-Bandleitern. Darin ist 2009 schon gezeigt worden, dass die Technologie innerhalb eines Kraftwerks grundsätzlich funktioniert. Und heute haben wir mehrere Firmen weltweit, die Strombegrenzer schon als Produkt anbieten.
Hat die Forschungsförderung im Bereich HTSL also auch dazu beigetragen Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb zu festigen?
Ja, die ist in den Anwendungen, was das Supraleiter-Kabel angeht, mit zwei Herstellern in Deutschland – NKT und Nexans – hervorragend. Mit führenden Projekten in Essen (Anm. der Red.: Forschungsprojekt AmpaCity) oder vorher auch NKT haben sie gezeigt, dass Supraleiter zukunftsfähig sind. Beim supraleitenden Strombegrenzer ist die Entwicklung auch gut. Die Materialhersteller stehen hier im größten Wettbewerb, weil wir weltweit über zehn Materialhersteller haben – aus China, Korea, Japan und den USA. Im vergangenen Jahr sind erste Großbestellungen von bis zu 500 Kilometern Supraleitern bestellt worden. Hier hat sich ein sehr harter Wettbewerb entwickelt.
Sie haben gerade das Forschungsprojekt Ampacity mit einem einen Kilometer langen Supraleiter-Kabel in Essen genannt. Werden bis 2050 alle Städte über HTSL mit Strom versorgt sein?
Ja, schön wäre das natürlich. Da gibt es auch Studien, die das Potenzial abschätzen. Supraleitungen sollte man da ansetzen, wo es Sinn ergibt. Und das ist natürlich überwiegend in Städten wegen der hohen Leistungsdichte, des geringen Platzbedarfs und der nicht elektromagnetischen Außenwirkungen sowie der Bodenerwärmung. In den Städten kann beispielsweise in bestehende Trassen mit Supraleitungen ein Mehrfaches an Leistung transportiert werden. Überall, wo also ein Netzausbau ansteht, wo ein Ersatz von konventionellen Kabeln ansteht, könnte man heute darüber nachdenken, Supraleitungen einzusetzen. Wenn wir dadurch im Stromnetz Leistungsänderungen nach oben haben und dann auf den Ausbau im Boden verzichten können, wird die Technologie auch wirtschaftlich.
Um elektrischen Strom verlustfrei zu transportieren, müssen Supraleiter auf sehr tiefe Temperaturen gekühlt werden. Ist diese Technologie inklusive Kühlung dennoch energieeffizienter als konventionelle Kabel?
Supraleitende Kabel sind dann energieeffizient, wenn wir eine relativ hohe Auslastung haben. Wenn kein Strom fließt, haben wir den Kühlaufwand. Es wäre natürlich unsinnig, Kabel supraleitend zu machen, die wenig ausgelastet sind. Wir haben aber sehr viele Bereiche, wo ein Auslastungsgrad größer 0,5 herrscht und ab da ist das supraleitende Kabel effizienter als das konventionelle Kabel. Dann betrachten wir auch das gesamte System: Wenn wir ein supraleitendes Kabel in den Süden legen, würden wir viele Transportkabel, die jetzt Energie in den Süden transportieren, nicht mehr benötigen. Dann ließen sich so auch die Verluste im Netz reduzieren und es ergibt sich in jedem Fall bei mittlerer und hoher Auslastung eine Energieeinsparung durch Supraleitungen.
Was sind denn die wichtigsten Forschungsbedarfe der nächsten Jahre?
Also beim Supraleiter-Kabel ist es so, dass wir nach der erfolgreichen Prototyp-Anwendung nun die gesamte Bandbreite der Anwendung zeigen müssen. Das heißt: bessere Leistung, höhere Spannung von etwa 110 Kilovolt (kV) und längere Strecken. Fünf bis sechs Kilometer sind übliche Teillängen für Stromkabel, wie sie zu 80 bis 90 Prozent in städtischen Netzen oder auch in Erdkabel-Teilabschnitten von Freileitungen vorkommen. Die Leiter befinden sich an der Schwelle zur industriellen Fertigung und müssen dahin noch überführt werden. Es müssen perspektivisch bestimmte Mengen an Leitern hergestellt werden, um die Kosten zu senken. Tests zeigen, dass die heutige Stromtragfähigkeit des Leiters noch nicht das Ende dessen ist, was erreicht werden kann. Das heißt, man kann sicherlich noch eine Verdopplung der Stromtragfähigkeit erreichen in der Zukunft. Hierfür bedarf es weiterer Forschung und Entwicklung.
Das Interview führte Annika Zeitler, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, auf der ZIEHL 2020.