Windenergie
Wettbewerbsvorteil durch smarte Wartungskonzepte
Marcel Wiggert Mission Stromwende 2045
DR. MARCEL WIGGERT IM INTERVIEW
Bis zu ein Viertel der Kosten von Offshore-Windparks können Service und Wartung verursachen, während die Anlagen selbst mit circa einem Drittel zu Buche schlagen. Hier setzt das Tool Offshore TIMES an. Im Interview erklärt Projektleiter Dr. Marcel Wiggert vom Fraunhofer IWES welche Daten notwendig sind, um zuverlässige Prognosen und kostengünstige Wartungskonzepte zu erstellen. Wie profitiert der Windparkbetreiber von dem Planungstool?
Bitte beschreiben Sie mit wenigen Worten das neue Tool.
Ein Offshore Windpark (OWP) wird heute 20 bis 25 Jahre, teilweise sogar 30 Jahre betrieben. Nicht eingerechnet: drei bis fünf Jahre Vorbereitung des Projekts und circa ein Jahr Bauzeit. Mit Planung der Windparks, stellt sich die Frage: Was braucht man für ein Logistikkonzept, um den Aufwand für die Wartung kalkulieren zu können. Um diese, für einen wirtschaftlichen Betrieb des OWP entscheidende Frage zu beantworten, haben wir das Tool Offshore TIMES entwickelt. Es simuliert und bewertet die Betriebs- und Wartungslogistik von OWP über den gesamten Lebenszyklus.
Warum ist eine gute Planung der Wartungsarbeiten so wichtig?
Fällt eine Windenergieanlage (WEA) im Leistungsbereich von 6 bis 8 Megawatt auch nur für einen Tag aus, entstehen für den Betreiber finanzielle Verluste in Höhe von 9.000,- bis 10.000,- Euro. Die Leistung neuer WEA beträgt mittlerweile durchschnittlich 10 Megawatt und die künftiger Anlagen bis zu 12 Megawatt. Da kommen schnell Ausfallkosten zusammen, die deutlich über 10.000,- Euro pro Tag liegen. Ein gutes Logistik- und Wartungskonzept ist deshalb ein ganz entscheidender Wettbewerbsfaktor.
Was genau bietet das Tool dem Betreiber eines OWP?
Bei einem neuen OWP fallen zunächst zahlreiche Fehlermeldungen einzelner WEA an. Das sind die sogenannten Kinderkrankheiten, die in den ersten paar Monaten der Betriebsphase typisch sind. Anschließend sinkt die Fehlerquote, um nach längerer Betriebszeit durch die Abnutzung wieder zu steigen. Die Simulation ermöglicht es dem Betreiber notwendige Ressourcen für die Logistik bereits in einer frühen Projektphase für den gesamten Lebenszyklus des OWP kalkulieren zu können.
Wie planen Windparkbetreiber aktuell die Wartungsarbeiten?
Da gibt es verschiedene Wege. Zum einen beauftragen sie Berater und zum anderen steht bereits Software zur Verfügung. Diese Tools verfügen jedoch über einfache Fehlermodelle und sind nicht Aktoren basiert. Daher halten wir unser Produkt für konkurrenzfähig sobald es kommerziell verfügbar ist. Daneben bietet es für wissenschaftliche Arbeiten zahlreiche Ansatzpunkte.
Für eine realitätsnahe Simulation benötigen Sie zahlreiche Informationen. Um welche Daten handelt es sich?
Das sind Informationen zu Infrastruktur und Technik von OWP wie beispielsweise die Lage der WEA, deren Zuverlässigkeit und Leistungskurven und zu bereitstehenden Ressourcen. Wie viele Schiffe, Helikopter und Personal stehen zur Verfügung? Wie groß sind die Kapazitäten der Schiffe? Daneben müssen Wetter- und Umweltparameter einfließen, um beispielsweise den Übergang des Wartungspersonals vom Schiff auf die WEA planen zu können.
Mit welchen besonderen Herausforderungen sahen Sie sich während der Arbeiten konfrontiert?
Die großen Datenmengen waren eine echte Herausforderung. Wir müssen mindestens 20 Jahre Betriebszeit des OWP simulieren. Für jede Simulation fallen circa 1 Gigabyte Daten an und insgesamt sind zwischen 1.000 und 1.500 Simulationen notwendig. Der neue Ansatz, die Betriebs- und Wartungsphase mit Hilfe von Aktoren zu simulieren, bildet die Prozesse realitätsnah ab, gleichzeitig steigt aber auch die Komplexität des Modells.
Die entwickelten Methoden haben Sie in einen Software Demonstrator überführt. Was genau ist damit gemeint?
Ein Demonstrator bezeichnet ein Modell, dass die Machbarkeit einer Lösung demonstriert, also die prototypische, meist vereinfachte Umsetzung vor der Realisierung. Das Tool bildet ganze Windparks mit Hilfe von Aktoren ab. Bei diesem Ansatz werden Nachrichten zwischen den einzelnen Aktoren versendet und auf dieser Ebene die Entscheidung für eine Wartung getroffen. Der Demonstrator implementiert die Methoden beispielhaft, ist jedoch nicht vollständig für die praktische Anwendung geeignet. Das Modell wird für die Marktanwendung weiterentwickelt.
Welche Anwendungsfelder sehen Sie für das Tool?
Offshore TIMES erlaubt den Vergleich und die Optimierung von Betriebs- und Wartungskonzepten für OWP. Neue und innovative Betriebs- und Instandhaltungskonzepte können entwickelt und getestet werden. Zusätzlich ermittelt das Tool Risiken, die durch Schlechtwetterphasen oder mangelnde Ressourcen entstehen. Ein weiteres Einsatzfeld ist die Untersuchung von Cluster Konzepten für die Offshore Wind Industrie.
Ist die neue Software bereits im Einsatz?
Wir arbeiten aktuell daran, die Software zur Marktreife weiterzuentwickeln und zu validieren. Momentan erfolgt der Einsatz in Forschungsvorhaben, beispielsweise MuTiG - Multi-Terminal intelligent/integrated Grids und SOBeKo - Strommarktorientierte Optimierung von Betriebskonzepten für Windparks.
Wann rechnen Sie damit, dass Offshore TIMES kommerziell verfügbar ist?
Wir planen mit der Software im Sommer oder Herbst 2020 in den Markt zu gehen. Erste Gespräche mit Windparkbetreibern wurden bereits geführt.
Was hat Sie zur Windenergie geführt?
Das war reiner Zufall. Nach dem Abschluss meiner Promotion in Kooperation mit STRABAG Offshore Wind GmbH, bekam ich das Angebot, im Konzern mitzuarbeiten. Zwei Jahre später führte mich der Weg zum Fraunhofer IWES in die angewandte Forschung. Hier habe ich das Themenfeld Offshore Logistik aufgebaut. Seit Beginn meiner Tätigkeit in der Offshore Wind Industrie bin ich zu einem starken Verfechter von Offshore Windenergie geworden.
Was fasziniert Sie persönlich an Ihren Aufgaben?
Durch meine Arbeit kann ich einen Beitrag leisten, die Kosten für Offshore Windenergie zu senken und damit deren Ausbau zu fördern. Ich erhalte die Möglichkeit, die Abläufe in OWP besser zu verstehen und die logistischen Prozesse entsprechend zu optimieren. Mir macht es einfach Spaß, Offshore Prozesse zu simulieren und die Methoden kontinuierlich zu verbessern.
Das Interview führte Micaela Münter, Wissenschaftsjournalistin beim FIZ Karlsruhe.