Netzengpassmanagement
„Grüne Energie ist da, aber wir können sie nicht nutzen“
Tanja Koch Mission Stromwende 2045
DR. TANJA KOCH IM INTERVIEW
Die Nordsee-Küste ist Deutschlands Wind-Hotspot: Hier stehen die meisten Windräder, hier wird der meiste Windstrom erzeugt. Trotzdem stehen jeden Tag hunderte Anlagen still – weil die vorhandenen Netze den Strom nicht ausreichend aufnehmen und transportieren können. Hier setzt Dr. Tanja Koch aus Oldenburg an: Als Expertin für Smart Grids bei EWE Netz arbeitet sie im Projekt Green Access daran, die Kapazität der Netze zu erhöhen.
Frau Dr. Koch, was empfinden Sie beim Anblick stillstehender Windräder?
Koch: Windräder, die sich nicht drehen, fallen natürlich sehr auf. Dass man sie im Rahmen des sogenannten Einspeisemanagements abschalten muss, obwohl der Wind weht, finde ich sehr schade. Erneuerbare Energie ist also da, aber wir können sie nicht nutzen.
Der Netzausbau spielt bei der Energiepolitik deshalb eine wichtige Rolle. Neue Leitungen können aber nicht von heute auf morgen gebaut werden. Für die Zwischenzeit müssen Lösungen gefunden werden.
Ja, daran arbeiten wir. Einspeisemanagement ist für uns ein Notnagel. Stattdessen überlegen wir uns unter der Bedingung, Stabilität und Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten, wie wir die Netze besser beherrschen, ausnutzen und wie wir Engpässe durch vorausschauendes Handeln vermeiden können.
Dabei helfen Ihnen die sogenannten Smart Grids. Was tun Sie, um Netze intelligent zu machen?
Die neuen Komponenten und Betriebsmittel helfen uns, in die Netze „hineinzuschauen“, die vorhandene Infrastruktur besser kennenzulernen und zu steuern. Das ermöglicht uns zum Beispiel, in Ausnahmefällen gesichert in Überlast zu gehen. Bei kalten Temperaturen im Winter können wir die Netze etwa für wenige Minuten gezielt an bestimmten Stellen überbeanspruchen, weil wir wissen, dass die kühle Luft ein Überhitzen von Leitungen und Transformatoren und so ein Durchbrennen verhindert. Außerdem arbeiten wir daran, Betriebsmittel zu automatisieren, damit sie beispielsweise Spannungsprobleme selbst ausgleichen können.
Wenn die Maximalauslastung erreicht ist, können Sie an der Netze-Stellschraube nicht mehr drehen. Es wird untersucht, wie man den Stromverbrauch an die Erzeugung anpassen, die Lasten folglich flexibel „verschieben“ kann. Das soll nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Haushalten funktionieren. Wenn viel Strom erzeugt wird, schalten sich in Smart Homes beispielsweise automatisch Waschmaschinen oder Heizungen ein. Brauchen wir unsere Waschmaschinen bald nicht mehr selbst anzustellen?
Das dauert noch 20 Jahre, schätze ich. Einerseits haben Haushaltsgeräte lange Lebenszyklen, halten entsprechend viele Jahre, bevor sie ausgetauscht werden müssen. Andererseits hängt der Erfolg von Smart Homes von der Bereitschaft der Menschen ab, sie zu akzeptieren. Niemand möchte einfach so fremdgesteuert werden, ohne dass es wirkliche Vorteile, zum Beispiel finanzielle, gibt.
Mit Prosumern, also Kunden, die gleichzeitig Erzeuger und Verbraucher sind, haben Sie unter Führung von EWE Netz im Rahmen des Förderprojekts Green Access jetzt schon erfolgreich in einem Feldtest zu Smart Grids zusammengearbeitet. Wie konnten Sie die Menschen dafür gewinnen, mitzumachen?
In unserer Region haben viele Menschen eine Solaranlage auf dem Dach oder ein Windrad auf dem Feld. Mit dem Thema erneuerbare Energien haben sie sich bereits auseinandergesetzt und sehr bewusst dafür entschieden. Als Pioniere sind sie stolz, einen positiven Beitrag zur Energiewende zu leisten.
Das Interview führte Katharina Klöber, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, für den Forschungsjahresbericht „Innovation durch Forschung“ 2018.