PV-Diesel-Hybridsystem versorgt die 4.000 Einwohner der Karibikinsel St. Eustatius. © SMA
PV-Diesel-Hybridsystem versorgt die 4.000 Einwohner der Karibikinsel St. Eustatius.

Photovoltaik
Stromnetze mit Photovoltaik stabil und sicher betreiben

Brisa Ortiz Mission Stromwende 2045

01.06.2019 | Aktualisiert am: 20.11.2024

DIPL.-ING. BRISA ORTIZ IM INTERVIEW

In Regionen ohne Verbundnetzanschluss ist es üblich, Strom aus Dieselkraftwerken bereitzustellen. Insbesondere die Photovoltaik könnte zukünftig beträchtliche Teile davon ersetzen. Unter Koordination von SMA Solar Technology haben die Projektpartner des Projekts „PV-Diesel“ die geeigneten Systemlösungen und Komponenten dafür entwickelt – das System läuft erfolgreich auf der Karibikinsel St. Eustatius, die zu den Niederlanden gehört. Die entwickelten Komponenten bieten ebenfalls die Möglichkeiten, künftig Stromnetze alleine mit Erneuerbaren Energien stabil und sicher zu betreiben. Die Ingenieurin Brisa Ortiz von SMA Solar Technology hat die Entwicklungsarbeiten koordiniert. Im Interview stellt sie Ihr System vor.

Frau Ortiz, beschreiben Sie kurz, was das System besonders auszeichnet.

In dem Projekt haben wir uns auf Hybrid-Systemlösungen fokussiert. Das Ziel war eine Energieversorgung für ein Inselnetzsystem, welches zeitweilig auch zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gespeist werden kann, und zwar in der Megawatt-Leistungsklasse. Dafür ist ein übergeordnetes intelligentes Steuerungssystem notwendig, das das gesamte Inselsystem optimal regeln kann. Für diesen Zweck haben wir den SMA Hybrid-Controller entwickelt.

Was genau macht dieser Controller?

Wir haben ja folgende Ausgangssituation: Da ist ein Dieselnetz, in das wir Strom aus Photovoltaikanlagen integrieren möchten. Der Photovoltaikstrom stellt jedoch einen kritischen Faktor für das Stromnetz dar. Je größer dessen Anteil ist, desto mehr Schwankungen müssen durch die anderen Komponenten im Netz kompensiert werden. Einen Anteil von 15 bis 20 Prozent können Dieselgeneratoren noch problemlos ausgleichen. Aber wir wollen am Ende 100 Prozent erneuerbare Energien. Und das übernehmen jetzt die neuen Hybrid-Controller.

Welche Aufgaben sind das konkret?

Man muss sich vorstellen, dass es bei Photovoltaikanlagen dieser Größenordnung bei Sonnenstrahlungseinbrüchen zu einer Leistungsänderung von 50 Prozent innerhalb von Sekunden kommen kann. Und diese werden durch den Speicher kompensiert. Der Hybrid-Controller übernimmt dabei die komplette Steuerung der Leistung inklusive Start und Stopp der Diesel-Generatoren sowie das vollständige Ausschalten des Diesels. Er regelt ebenfalls die Synchronisation mit dem Netz und stellt die vom Netzbetreiber geforderten Funktionen zu Systemdienstleitungen zur Verfügung. Ziel ist es, den Verbrauch von fossilem Brennstoff zu reduzieren, CO2 Emissionen zu vermeiden, alle Systemkomponenten zu schonen und die Betriebswirtschaftlichkeit der Anlage insgesamt zu erhöhen.

Frau Ortiz, welche speziellen Anforderungen des Netzbetreibers erfüllt der Hybrid-Controller damit? Die These, dass zu viel Photovoltaik-Strom das Versorgungsnetz stört, ist nach wie vor geläufig.

Die Kombination von Hybrid-Controller mit Batteriewechselrichter ist ein Weg die Schwankungen zwischen Erzeuger und Verbraucher im Netz auszugleichen und so eine temporäre vollständige Stromversorgung mit PV zu ermöglichen.

Worin bestanden die besonderen Herausforderungen für Forschung und Entwicklung bei diesem Vorhaben?

Die größten Herausforderungen waren die Regelungsverfahren für die Netzbildung sowie die Regelung für die kritischen Betriebszustände. Wir haben zuerst für jede Komponente ein Modell erstellt und diese dann in eine Simulation der Regelung eingebunden. Die Simulation haben wir im Labor getestet, anschließend die Modelle durch die physikalischen Komponenten ersetzt und den Test im Labor erneut durchgeführt. Das gesamte System wurde dann auf die Insel St Eustatius verschifft und neu aufgebaut. Der reale Betrieb verläuft seitdem ohne Probleme und die Anlage versorgt heute rund um die Uhr problemlos die 4.000 Einwohner der Insel.

Das Projekt hat die Grundlage geschaffen, das größte Batteriesystem in einem Verbundnetz zu realisieren. Was ist damit gemeint? Das war ja eigentlich eine Lösung für eine Insel.

Im Verbundnetz sind ebenfalls Speicher im Einsatz. Im vergangenen Januar (2019) ist es in Europa aufgrund eines starken Frequenzabfalls auf unter 50 Herz beinahe zu einem großen Blackout gekommen. Dank des Einsatzes von Batteriespeichern wie der in Bennewitz in Sachsen konnte verhindert werden, dass die Stromversorgung ausfiel. In Pelham in England hat SMA bereits eine schlüsselfertige Lösung für ein Speicherkraftwerk geliefert, welches die Frequenzregelung im Netz als auch notwendige Stromreserven bereitstellt.

Das ist also etwas für die Zukunft?

Wenn man noch einen Schritt weitergeht und der Anteil der erneuerbaren Energien weiter wächst - vielleicht sogar eines Tages bei gutem Wetter 100 Prozent der Energieversorgung erreicht – dann fehlen im Netz die konventionellen Kraftwerke, die das Netz stabil halten und die Netzbildung übernehmen. Alle Funktionen müssen von Wechselrichtern wahrgenommen werden. Da darf es nicht zu einem gegenseitigen Hochschaukeln im Netz kommen. Damit das Versorgungsnetz stabil arbeitet, müssen die Stromrichter alle Anforderungen an die Sicherheit und Qualität der Netze erfüllen – wie wir es von den konventionellen Kraftwerken kennen.

So funktioniert es bereits heute schon in den kleinen Inselnetzen oder auch in größeren Inselnetzen, wie etwa auf den Azoren.

Wie viel Diesel kann durch das neue System eingespart werden?

Auf St. Eustatius sind es 6,4 Gigawattstunden Strom aus Photovoltaik pro Jahr, die produziert werden. Dadurch können wir 1,73 Millionen Liter Diesel pro Jahr einsparen. Das entspricht ungefähr 60 Tanklastern. Wir haben aktuell einen Energieanteil durch Photovoltaik von 46 bis 47 Prozent. Dieser Anteil kann künftig weiter steigen.

Dies auf den Weltmarkt zu übertragen, ist nicht einfach. Nach Aussage von Marktforschungsfirmen werden pro Jahr 40 Gigawatt neue Dieselkraftwerke gebaut. Wie viel wir davon durch Wind oder Photovoltaik ersetzen können, hängt auch vom Standort ab. Die Anwender müssen zudem noch davon überzeugt werden, solche, in ihren Augen riskante Technik einzusetzen.

Und nun eine ganz spannende Frage. Eine Hybridanlage bestehend aus Dieselkraftwerk und PV-Anlage führt zu höheren Investitionskosten gegenüber einem reinen Dieselkraftwerk. Können die deutlich geringeren Betriebskosten diese Mehrkosten ausgleichen?

Ich gehe fest davon aus. In den letzten Jahren sind die Investitionskosten von PV-Kraftwerken sowie von Speichertechnologien deutlich gesunken. Nehmen wir das Beispiel von St. Eustatius. Zwei Millionen Liter eingesparter Diesel pro Jahr kann eine Investition dieser Größenordnung innerhalb von vier bis sechs Jahren amortisieren. Die Rendite und die Amortisationszeit schwanken abhängig vom Ort, der Komplexität des Systems und deren Anwendung.

Frau Ortiz, die Energieversorgung der Zukunft mit erneuerbaren Energien ist ein spannendes Thema. Seit wann beschäftigen Sie sich bereits damit?

Seit über 15 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Energieversorgung mit Photovoltaik beginnend von ein paar Kilowatt bis in die Megawatt-Leistungsklasse für unterschiedlichste Anwendungen.

Und wie sind Sie zu diesem Thema gekommen – manchmal ist es ja auch purer Zufall?

Meine größte Motivation ist es, den frei verfügbaren und sauberen Strom aus Sonnenenergie so zu verbreiten, dass er weltweit zur Verfügung steht und für jeden zugänglich und bezahlbar ist.

Das Interview führte Micaela Münter, Wissenschaftsjournalistin beim FIZ Karlsruhe.