Die Türme von Windenergieanlagen werden Stück für Stück aufgebaut – die obersten Elemente können nur bei niedrigen Windstärken installiert werden. © Peter – stock.adobe.com
Die Türme von Windenergieanlagen werden Stück für Stück aufgebaut – die obersten Elemente können nur bei niedrigen Windstärken installiert werden.

Wirtschaftlicher Bau und Betrieb
Schwingungen unter Kontrolle: Forschende untersuchen Dämpfer für Türme von Windenergieanlagen

14.04.2025 | Aktualisiert am: 15.04.2025

Die Türme moderner Windenergieanlagen sind hoch und schlank. Trifft der Wind auf die Anlagen, fangen sie an zu schwingen. Auch Schäden können auftreten, insbesondere langfristig. Was genau wann zu erwarten ist und wie sich das Phänomen kontrollieren lässt, untersuchen Forschende in verschiedenen Projekten.

Ein digitaler Zwilling einer realen Windenergieanlage des Projektpartners Nordex ist zum Beispiel im Projekt RealTimeWT-Tower entstanden. „Mit diesem Mehrkörper-Simulationsmodell können wir die Referenzanlage in Echtzeit überwachen“, berichtet Stefan Witter, der das Projekt seitens der RWTH Aachen koordiniert. Um das zu ermöglichen, hat das Projektteam die Anlage mit zahlreichen Messsensoren ausgestattet. Dadurch konnten sie ihre Modelle und Rechenansätze validieren. Ziel war es, die Schwingungen der Anlage vorherzusagen, um mögliche Schäden im Turm frühzeitig zu erkennen. „Am Ende können wir durch unsere Forschungsarbeiten die Wirtschaftlichkeit der Anlagen steigern“, so Witter, „zum Beispiel wird die Wartung optimiert und wir können die Betriebszeit der Anlage an den tatsächlichen ermüdungsrelevanten Schäden ausrichten.“ Bisher werden Windenergieanlagen mit den ungünstigsten Grundannahmen geplant, um Bau und Betrieb sicher zu gestalten. Mit den tatsächlichen Werten könnten die Betriebszeit entsprechend hochgesetzt und Wartungskosten reduziert werden.

Strategien gegen wirbelerregte Querschwingungen

Ein weiterer Bestandteil des Projekts waren Untersuchungen im Windkanal anhand kleinerer Windenergieanlagen-Modelle. Hier haben die Fachleute aus Maschinenbau und Bauingenieurwesen unter anderem festgestellt, dass es bei bestimmten Konstellationen der Anlage zu atypischen wirbelerregten Querschwingungen (siehe Infokasten) kommen kann. Das Phänomen tritt nur bei stillstehenden Rotorblättern auf, die in einem bestimmten Winkel zum Turm stehen. Auch bei höheren Windgeschwindigkeiten stellten die Forschenden solche atypischen Schwingungen im Windkanal fest. Im Folgeprojekt SensPhWT, ebenfalls ein Verbund von RWTH Aachen und Nordex, soll dieses Phänomen nun genauer untersucht werden.

Was sind wirbelerregte Querschwingungen?

Trifft Wind auf einen Körper, der nicht ganz flach ist, passiert Folgendes: Der Wind weht am Körper vorbei, löst sich an einer Kante ab und bildet mehrere Wirbel. Das ist die sogenannte Wirbelablösung. Die Türme einer Windenergieanlage schwingen grundsätzlich in einer Eigenfrequenz hin und her. Die sich ablösenden Wirbel des Windes ziehen den Turm zudem mal in die eine, mal in die andere Richtung. Hat die Wirbelablösung dabei das gleiche Tempo wie die Eigenfrequenz des Turmes, kommt es zu wirbelerregten Querschwingungen. Das führt zu größeren Schwingungen.

Wirbelerregte Schwingungen können aktuell nur schwer vorhergesagt werden. Es gibt nicht ausreichend Messungen im Originalmaßstab, die alle relevanten Parameter erfassen würden. Allein Windkanalversuche zu verwenden, funktioniert aufgrund physikalischer Grundlagen nicht. Um nämlich die Schwingungen zu berechnen, benötigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die korrekte Reynoldszahl. Diese unterscheidet sich stark bei realen Anlagen und den viel kleineren Modellanlagen. Derselbe Wind trifft dort auf eine andere Struktur. Wirbel treten hier in anderer Form auf und verursachen damit auch andere Schwingungen. „Damit kämpfen wir seit 50 Jahren“, erklärt Robert Fontecha, Bauingenieur an der RWTH Aachen. „Es gibt verschiedene Strategien – die realen Größen brauchen wir aber von einer echten Turbine, einer numerischen Simulation oder einer Kombination von beidem.“

Reynoldszahl: Grundlage für Berechnung von Schwingungen

Die Reynoldszahl charakterisiert das Verhalten von Körpern in einer Strömung, somit auch das einer Windenergieanlage im Wind. Die Zahl stellt das Verhältnis der Trägheitskräfte eines Körpers zu den Viskositätskräften der umgebenden Strömung dar. Bei großen, realen Windenergieanlagen haben Türme etwa Durchmesser von vier Metern und onshore bis zu 175 Meter lange Rotordurchmesser. Dadurch sind die Trägheitskräfte und damit auch die Reynoldszahl sehr groß. Bei den kleineren Modellanlagen im Windkanal liegen dieselben Windbedingungen vor. Daraus resultieren dieselben Viskositätskräfte bei kleineren Trägheitskräften. Die Reynoldszahl ist entsprechend klein: „Ist die Zahl in der Realität zum Beispiel eine Million, liegt sie im Windkanal vielleicht nur bei 30.000“, so Fontecha. Das beeinflusst, an welcher Stelle des Turms die Wirbelablösung stattfindet.

Bei diesem Bild ist simuliert, wie die Luft in mehreren Teilen herumgewirbelt wird, nachdem sie auf den Turm getroffen ist. © Universität Bremen / Hannah Lukoschat 2025
Simulation des Strömungsverhaltens um einen Turm.

Im Projekt SenSPhWT setzen die Forschenden daher auf einen Multiskalenansatz. Dabei kombinieren sie Feldmessungen, Simulationen und Windkanalmodelle: „In den Feldmessungen haben wir die realen Bedingungen, dafür können wir dort nur wenig verschiedene Sachen ausprobieren und haben begrenzte Messpunkte. In der Simulation können wir im Prinzip alles machen und überall hineinschauen – das muss aber validiert werden. Im Windkanal wiederum können wir auch vieles machen, haben dann aber das Skalenproblem“, erklärt Stefan Witter. Bei dem Multiskalenansatz – üblich etwa in der Flugzeugbranche – fließen Daten aus dem Windkanal in Simulationen ein, die wiederum mit den Modellen im Windkanal validiert werden. Daraufhin wird die validierte Simulation hochskaliert auf die reale Anlagengröße. „Dadurch können wir im Vorfeld herausfinden, was sich lohnt, zu testen“, so Robert Fontecha.

Scruton-Wendeln: Die Lösung gegen starke Schwingungen?

Das Projektteam untersucht unter anderem, wie wirksam Scruton-Wendeln (siehe Infokasten) sind, mit denen Schwingungen des Turms reduziert werden sollen. Aktuell werden sie bereits beim Aufbau neuer Windenergieanlagen genutzt. Solange der Turm freisteht, ohne dass die tonnenschwere Gondel aufgesetzt ist, ist er besonders anfällig für Schwingungen. Die Scruton-Wendeln sollen das mindern. SenSPhWT soll dazu nun genauere, qualitative Daten liefern: Unter welchen Voraussetzungen sind die Wendeln sinnvoll? Und ab wann vergrößern sie einfach nur den Durchmesser des Turms und reduzieren die Schwingungsamplituden gar nicht mehr? Eine weitere Frage des Projekts bezieht die fertige Windenergieanlage mit ein: Wäre es sinnvoll, die Scruton-Wendeln nach dem Bau an der Anlage zu lassen? Sind die im Vorgängerprojekt RealTimeWT-Tower gemessenen atypischen Querschwingungen bei Stillstand der Anlage dadurch vermeidbar?

Was ist ein Scruton-Wendel?

Im Bauingenieurwesen gibt es Scruton-Wendeln bereits seit den 60er Jahren. Sie kamen ursprünglich bei hohen Schornsteinen zum Einsatz, um Schwingungen zu mindern. Scruton-Wendeln werden spiralförmig um einen runden Turm geschwungen. Dadurch stören sie die Wirbelablösung des umfließenden Windes. Die Wendel können aus unterschiedlichen Materialien bestehen. Zum Beispiel können auch Seile dafür genutzt werden. Die ersten Scruton-Wendeln – die ursprünglich noch nicht so hießen – hat der britische Ingenieur Christopher Scruton (1911 – 1990) entwickelt und optimiert. Nach ihm wurde auch die Scrutonzahl benannt, ein Massendämpfungs-Parameter für wirbelerregte Querschwingungen.

Das Forschungsprojekt REFINE hat anhand von Messkampagnen an realen Anlagen bereits wichtige Grundlagen zu den Eigenschaften der Scruton-Wendel erarbeitet. Ziel des Forschungsteams von der Universität Bremen und Nordex war es, die Schwingungen der Anlagen besser zu verstehen, um ihnen effektiv entgegenwirken zu können. Dafür haben die Forschenden in Messkampagnen zahlreiche Daten erhoben, unter anderem in Spanien und Kroatien. „Der Scruton-Wendel hat sich dabei als vielversprechendes aerodynamisches Device bei der Errichtung der Türme gezeigt“, berichtet Stephan Oelker, Abteilungsleiter an der Universität Bremen und zuständig für REFINE.

Die Turmschwingung selbst maßen die Forschenden über eine eigens entwickelte Motion Sensor Box (MSB). Der Prototyp wurde erfolgreich Labor- und Freilufttests unterzogen sowie in einer Kleinserie von 20 Exemplaren erfolgreich gefertigt. Gleichzeitig zur Turmschwingung maßen die Forschenden die Strömungsmechanik, also sowohl den ankommenden als auch den nachlaufenden Wind, über LIDAR-Systeme. Sie programmierten zudem ein stark vereinfachtes Simulationsmodell, das die Interaktionen zwischen Fluid (hier die Luft) und Struktur (hier der Turm) bei anwendungsnahen Reynoldszahlen vorhersagen kann. Damit konnten sie das Ablöseverhalten von wirbelerregten Querschwingungen demonstrieren.

Flexiblere Zeitfenster bei der Installation senken Kosten signifikant

Um zu bewerten, wie wirtschaftlich es wäre, die Scruton-Wendeln zu nutzen, haben sich die Forschenden auf die Installationskosten konzentriert. Beim Bau wird der Turm aus mehreren Segmenten Stück für Stück zusammengesetzt. Wenn die Schwingungen zu stark ausfallen, löst Nordex das Problem unter anderem dadurch, dass mitunter Pausen eingelegt oder sogar Teile rückgebaut werden müssen. Um insbesondere das oberste und damit fragilste Turmsegment aufzubauen, darf der Wind nur geringe Geschwindigkeiten haben. Das führt zu kleinen Zeitfenstern und längeren Bauzeiten. Wenn man es schafft, durch die Wendeln die erlaubten Windfenster zu erhöhen, etwa von einer Windgeschwindigkeit in Höhe von 5 Meter pro Sekunde auf 8 Meter pro Sekunde, dann hat das signifikante Auswirkungen“, erklärt Oelker. Weniger Pausen und eine schnellere Bauzeit erhöhen die Wirtschaftlichkeit der kompletten Anlage. Um das zu berechnen, haben die Forschenden die Winddaten der gesamten Europäischen Union analysiert, die über den New European Wind Atlas verfügbar sind. Aus den Daten erstellten sie konkrete Windszenarien, mit denen sie das Potenzial der aerodynamischen Devices bewerten konnten. Die Frage war, inwiefern damit die Installation neuer Anlagen gesteigert werden könnte. Erste Ergebnisse haben sie auf der Winter Simulation Conference veröffentlicht. (mb)